Die Kinder des Dschinn. Das Akhenaten-Abenteuer
gemeißelten Köpfen römischer Götter und Göttinnen, wie Nimrod erklärte, während im hölzernen Turm ein großer hölzerner Salamander eine hölzerne Treppe hinaufkroch. Gekrönt wurde diese von der polierten Eichenfigur eines lächelnden Beduinen mit einer alten Messinglampe in der Hand, die das Treppengeländer mit einer hohen blauen Gasflamme beleuchtete. Doch der Rest des Hauses wirkte moderner: nur zwei- oder dreihundert Jahre alt; dieser Teil des Hauses war voller architektonischer Tricks: Spiegel; Zimmerdecken, die den Eindruck eines Sommerhimmels vermittelten; Bücherregale, hinter denen sich Türen verbargen; Wände, die mit einer seltsamen silbrig gelben Tapete überzogen waren, welche wie mattes Weißblattgold aussah, und in denen sich Türen befanden, die gar keine Türen waren.
In den meisten Zimmern standen ägyptische Kunstgegenstände, Tierbronzen, Jagdtrophäen und Straußeneier, und sämtliche Stühle und Sofas waren rot überzogen – offenbar Nimrods Lieblingsfarbe. In beinahe jedem Kamin brannte ein Feuer. Groteske Wandleuchter und riesige Silberkandelaber – in manchen von ihnen steckten Dutzende von Bienenwachskerzen – verbreiteten mitten am Vormittag Abendstimmung im Haus. Fast alle Gemälde waren Aktbilder von Leuten, doch Philippa fand nur wenige attraktiv und war der Meinung, dass mehrereeine Schlankheitskur nötig gehabt hätten, bevor sie sich malen ließen. Und überall standen reich geschmückte Behälter voller teurer Zigarren, kostbare Gläser, alte Feuerzeuge und antike römische oder etruskische Öllampen.
Eine Bibliothek mit mehreren hundert Büchern schien der Ort zu sein, an dem Nimrod sich am wohlsten fühlte. Ein riesiger Schreibtisch aus Ebenholz mit Löwenpfoten und ein vergoldeter Stuhl beherrschten den Raum. Nimrod bestand darauf, dass beides das persönliche Eigentum des großen Königs Salomon gewesen sei.
»Ist das richtig wertvoll?«, fragte John.
»Wertvoll? Meinst du den Geldwert?«
»Ja. Schließlich war König Salomon doch superreich, oder?«
»Ein gängiger Irrtum«, gab Nimrod zurück.
»Aber besaß er nicht sogar eigene Diamantenstollen?«, fragte Philippa.
»Ja«, stimmte John zu. »König Salomons Stollen. Bestimmt hast du schon mal davon gehört.«
Nimrod öffnete eine Schublade und holte ein großes Buch heraus, das er auf den Schreibtisch legte. »Lies das«, sagte er stolz zu John.
»Das kann ich nicht lesen. Es ist eine komische, altmodische Schrift.«
»Ach ja, richtig. Ich hatte ganz vergessen, dass ihr noch nicht viel Bildung genossen habt. Nun ja, König Salomon hatte viele Probleme mit seinen Untertanen. Und er führte eine Art Tagebuch, in dem er den Ärger aufschrieb, den ihm die Leute bereiteten. Da der alte Salomon Humor hatte, nannte er sein Tagebuchdas ›Große Buch des Schmollens‹. Versteht ihr? Es kann ganz einfach eine falsche Übersetzung gewesen sein, oder jemand hat etwas durcheinander gebracht, aber auf alle Fälle besaß König Salomon keine Stollen, sondern ein Buch des Schmollens. König Salomons Schmollen.«
Nimrod schüttelte den Zeigefinger. »Ihr werdet eine Menge lernen, während ihr bei mir seid. Nützliche Dinge, nicht den Unsinn, den sie euch in der Schule beibringen. Das ist ja das Problem mit den Schulen von heute. Alles, was sie interessiert, sind Geld und Testergebnisse. Sie bilden nur noch Banker und Buchhalter aus, als würde die Welt noch mehr von der Sorte brauchen. Nehmt euch meinen Rat zu Herzen. Bildung ist etwas, das ihr euch am besten selber aneignet.
Ach, dabei fällt mir ein«, fuhr Nimrod fort, »ich habe ja ein Geschenk für euch.« Er ging zu seinen Bücherregalen und suchte zwei herrlich gebundene Bücher heraus, die er den Zwillingen gab. »Das ist eines der schönsten Werke, die jemals geschrieben wurden. ›Tausendundeine Nacht‹. Es sind Geschichten, mit denen Prinzessin Scheherazade einen schrecklichen Sultan unterhalten musste, der sie und all seine anderen Frauen töten wollte, sobald ihre Geschichten ihn langweilten. Lest das Buch schnell und sagt mir, was ihr davon haltet.«
»Schnell?«, fragte John und blätterte in dem Buch. »Aber es hat mehr als 1000 Seiten. Es sind genau 1001 Seiten. Es kann den Rest des Jahres dauern, bis ich damit fertig bin. Vielleicht sogar das ganze nächste Jahr.«
Philippa wog den schweren Lederband auf der Handfläche und versuchte, sein Gewicht zu erraten. Sie war zwar eine größereLeseratte als John, aber sogar sie, die schon »Oliver
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