Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
Situation nur verschlimmerte, daher trat er aus der Praxis in die Wimpole Street hinaus und musste lächeln bei dem Gedanken, welches Gesicht Miss Mandibular erst gemacht hätte, wenn er ihr einige der ausgefalleneren Dinge aufgezählt hätte, die er mit dschinterner Post verschickt und erhalten hatte. Einen Lieblingsfüller, eine Brille, einen Honigtopf, einen Schlüsselbund, eine T V-Fernbedienung , seine geliebten Taschenbücher nicht zu vergessen und einmal sogar eine kleine Statue.
In der Annahme, dass Layla sich wohl kaum die Mühe gemacht hätte, ihm das Steinmedaillon zu schicken, wenn es ihr damit nicht eilen würde, ging Nimrod geradewegs nach Hause und holte, nachdem er mit ihr telefoniert und dienäheren Umstände seines Auftauchens erfahren hatte, eine antik aussehende Messinglampe aus dem Salon sowie ein sauberes Staubtuch und trug beides in die Bibliothek. Die Messinglampe war leicht angelaufen und sah aus, als könnte sie eine ordentliche Politur gebrauchen. Sie hatte einen großen, wie ein Kuhohr geformten Henkel, und der Deckel ähnelte den Zwiebelturmdächern mancher persischen Paläste. Mit einer kräftigen Politur rief Nimrod Mr Rakshasas aus der Lampe.
Dünner, verbraucht riechender Rauch erfüllte die Bibliothek von Nimrods Londoner Villa, zog sich zu einer festen Wolke zusammen und nahm eine eindeutig menschliche Gestalt an, ehe er sich wieder verzog und einen Mann in weißem Anzug und mit einem weißen Turban freigab. Dieser schüttelte erschöpft den Kopf. »Ich brauche jedes Mal länger für die Transsubstantiation «, klagte er. »Früher gelang es mir in wenigen Sekunden. Jetzt scheint es mehrere Minuten zu dauern.« Er reckte sich unter Schmerzen. »Ich glaube, ich werde alt.«
Nimrod widersprach Mr Rakshasas nicht. Es war eine unbestreitbare Tatsache, dass er uralt war.
»Aber warum die Eile, guter Mann?«, sagte Mr Rakshasas, der zwar wie ein Inder aussah, sich aber eher wie ein Ire anhörte. »Sie haben die Lampe geputzt wie ein Butler mit einem neuen Staubtuch.«
Nimrod erzählte ihm vom Einbruch in das Haus seiner Schwester in New York und von dem Versuch, die Weisheitszähne seiner Nichte und seines Neffen zu stehlen. »Das hier haben sie auf dem Boden gefunden«, sagte er und reichte ihm dasMedaillon. »Ich vermute, dass es aus Indien stammt. Layla hat es mir mit der dschinternen Post geschickt. Vor einer knappen Stunde. Ich denke, es ist weitgehend unbeschädigt.«
»Ein schlechtes Ei kann man nicht verderben, denke ich«, murmelte der alte Dschinn und drehte das Medaillon mit seinen knochigen Fingern. »Ich hatte gehofft, dieses Symbol nie wiederzusehen.«
»Dann kennen Sie es?«
Mr Rakshasas nickte seufzend. »Das ist ein Naga-Stein. Und er dient zweierlei Zwecken: Er schützt die Menschen vor Schlangen – zumindest nimmt man das an – und besänftigt den Schlangengott. Die Schlange ist eine Königskobra. Sie und das Symbol daneben sind kein schöner Anblick für meine müden, alten Augen, glauben Sie mir.«
»Symbol?« Nimrod betrachtete das Medaillon auf Mr Rakshasas’ ausgestreckter Hand und den seltsamen Schnörkel neben der Schlange genauer. »Sie meinen das Fragezeichen ohne den kleinen Punkt darunter?«
»Das ist kein Fragezeichen. Das ist die brahmanische Zahl Neun. Sie steht für die Neun Kobras, Nimrod.«
Nimrod legte die Stirn in Falten. »Neun Kobras. Was ist das?«
»Es gab einen alten Kult namens Aasth Naag – die Acht Kobras. Ich hatte gehofft, es gäbe ihn längst nicht mehr. Doch in letzter Zeit hatte ich so ein merkwürdiges Gefühl, Nimrod, das ich einfach nicht beschreiben konnte. Und jetzt, wo ich dieses leicht veränderte und womöglich verbesserte Symbol sehe, fange ich an, das Gefühl zu begreifen. Und kann ihm Namen und Gestalt geben: die Gestalt einer Schlange. Wahrscheinlichfürchtet ein verschorfter alter Kopf den Kamm«, sagte er mit einem schiefen Lächeln.
Mit einem sehr müden Seufzen ließ sich der alte Dschinn in einen Sessel nieder. »Sie sagten, jemand sei hinter den Weisheitszähnen der Kinder her gewesen?«
»Ja.«
»Das ist schlimm, sehr schlimm. Dann wollen sie sicher ein neues Amulett anfertigen. Wir müssen Layla warnen, dass sie Vorsichtsmaßnahmen treffen soll. Ihr Haus besser absichern muss.«
»Das hat sie meines Wissens schon getan.«
»Das ist gut. Wenn sie wirklich darauf aus sind, ein neues Amulett herzustellen, bedeutet das natürlich, dass der Naag-Kult das alte nicht mehr hat. Auch das ist
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