Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
jedoch am meisten erschreckte, war die Behaarung des Mannes, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe Philippa zu dämmern begann, dass dies kein Mann, sondern ein großer Affe war.
»Ist er tot?«, flüsterte sie.
»Das will ich stark hoffen«, sagte John. »Ich hätte keine Lust, einem Gorilla zu erklären, warum wir uns ungebeten so spät in der Nacht in seinem Haus herumtreiben.« Er warf ihr einen fragenden Blick zu. »Das ist doch ein Gorilla, oder?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe noch nie einen Gorilla aus der Nähe gesehen. Und mit Sicherheit keinen im Frack.«
Beide schrien vor Schreck, als hinter ihnen plötzlich ein lauter Knall ertönte, und als sie zur Eingangstür rannten, stellten sie fest, dass sie zu war. »Glaubst du, es war der Wind?«, fragte John atemlos und deutete zur Orgel hinüber, die immer noch ihren schrillen, zitternden Ton von sich gab – wie ein Teekessel, den man einfach weiterpfeifen lässt. »Wie in der Orgelpfeife?«
»Das will ich stark hoffen«, sagte Philippa schaudernd, weil sie außerdem das ausgesprochen nervenzehrende Gefühl hatte, etwas streiche wie schwebende Spinnfäden direkt an ihr vorbei und die Stimme eines unsichtbaren Mädchens flüstere ihr ins Ohr.
In diesem Moment begann die Orgel ein richtiges Musikstück zu spielen und beiden wurde klar, dass der Wind es vielleicht fertigbringen mochte, eine Tür zuzuwerfen oder aucheinen einzelnen Orgelton zu spielen, aber nicht Bachs komplette Toccata und Fuge in d-Moll .
»Los, komm«, sagte Philippa und packte den Türgriff. »Nichts wie raus hier. Bevor der komische Affe aufwacht.«
Aber die Tür war fest verschlossen.
Restlos von Panik ergriffen, zerrten die Zwillinge mit aller Kraft am Türgriff, bis die schauerliche Orgelmusik ebenso plötzlich, wie sie eingesetzt hatte, abbrach und sie das spöttische Gelächter eines Jungen vernahmen. Einen Augenblick später wurde hinter der Orgel der Vorhang zur Seite geschoben und Dybbuk trat heraus. Immer noch hämisch vor sich hin lachend, schüttelte er den Kopf über die Wirkung seines Streichs auf John und Philippa.
»Eure Gesichter«, gackerte er. »Hätte ich doch nur einen Fotoapparat. Ihr seht aus, als wärt ihr beide einem Werwolf begegnet. Das war wirklich irre komisch.«
»Fein, dass du dich so gut amüsierst«, sagte Philippa steif. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, und vermutlich hätte sie Dybbuk eins übergezogen, wenn er in ihrer Reichweite gewesen wäre. »Wenn wir geahnt hätten, dass du vorhast, uns so zu begrüßen, hätten wir uns bestimmt nicht die Mühe gemacht, hierher zu kommen und solche Unannehmlichkeiten auf uns zu nehmen.«
»Tut mir leid, aber ich konnte einfach nicht widerstehen. Das Gemäuer hier ist einfach wie gemacht für solche Späße. Ist es nicht toll?«
»Und wir haben gedacht, du hättest Angst um dein Leben«, sagte John. »Zumindest stand das in deiner E-Mail .«
»Das hab ich auch. Das ist alles wahr. Jedes Wort. Ehrlich.«
»Ja, klar«, erwiderte John bitter. »Wie wahr es ist, sieht man an dem fetten Grinsen in deinem dämlichen Gesicht.«
»Nein, wirklich«, beteuerte Dybbuk. »Ich bin euch wahnsinnig dankbar, dass ihr da seid.«
»Komm schon, John«, sagte Philippa. »Wir fahren nach Hause.«
»Nein, wartet«, sagte Dybbuk. »Lasst mich ausreden. Bitte.«
»Also gut«, sagte John. »Ich hoffe nur, dass deine Geschichte etwas taugt.«
Sie gingen zurück in das riesige Wohnzimmer.
»Wer ist denn dein Freund da?«, fragte John und starrte unbehaglich auf den Affen.
»Das ist Max. Er war über dreißig Jahre lang der Butler meiner Tante Felicia.«
»Ist sie das?«, fragte Philippa und betrachtete das große Porträt eines auffallend schönen, etwa zehn Jahre alten Mädchens, das über dem Kamin hing. »Deine Tante? Als Kind, meine ich?«
»Nein. Das ist meine Schwester Faustina.«
»Oh!«, rief Philippa, die sich daran erinnerte, was ihre Mutter über das plötzliche Verschwinden von Dybbuks Schwester gesagt hatte.
Es folgte eine unangenehme Stille.
»Wie kommt es, dass deine Tante einen Affen als Butler hatte?«, wechselte John das Thema.
»Sie hat Irdische noch nie leiden können«, antwortete Dybbuk. »Das ist einer der Gründe, warum sie Bannermann’s Island gekauft hat. Menschen meiden die Insel für gewöhnlich.Aus naheliegenden Gründen. Auf jeden Fall hat sie Max aus einem Zoo geholt, als er noch jung war, und mit ein paar menschlichen Eigenschaften ausgestattet, mit Sprache zum Beispiel und
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