Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
Ölpalme und eine Betelpalme und stieg dann eine weiße Wendeltreppe hinauf, um von dort aus aufzupassen. Zum Glück waren an diesem kalten, winterlichen Tag nur wenige Touristen im Palmenhaus und die drei Dschinn hatten sich schneller in Rauch aufgelöst und ins Innere der Lampe verzogen, als sie »FABELHAFTIGANTISCHWUNDERLICHERICH!« . (Philippa), »ABECEDERISCH!« . (John) und »ZYGOBRANCHIAT!« . (Dybbuk) sagen konnten.
Da das Innere einer Dschinnlampe oder Flasche außerhalb von Zeit und Raum existiert, verlässt man beim Betreten auch den normalen dreidimensionalen Raum. Manche Dschinn, die sich wie Mr Rakshasas entschließen, viel Zeit im Innern ihrer Lampe zu verbringen, richten sich dort hausähnliche Wohnräume ein, sodass man sich, abgesehen von den fehlenden Fenstern, unmöglich vorstellen kann, im Innern irgendeines Gegenstandes zu sein. Genau dies war auch Johns, Philippasund Dybbuks erster Eindruck von Mr Rakshasas’ Lampe. Ihr Inneres war riesig.
»Ich weiß selbst nicht, warum«, sagte John, »aber bisher habe ich den alten Mr Rakshasas immer ein bisschen dafür bedauert, so viel Zeit in seiner Lampe verbringen zu müssen. Ich hatte angenommen, dass er hier in einer stickigen kleinen Bude hockt. Und jetzt seht euch das an. Das ist ja gigantisch.«
Dybbuk schüttelte schnaubend den Kopf. »Gemütlich finde ich das nicht gerade«, sagte er. »Es ist doch bloß eine Bibliothek.«
»Ja, eine Bibliothek«, sagte Philippa, die von der Größe der Wohnung wie erschlagen war. Sie blickte von einer Seite zur anderen, sie sah vor und hinter sich, und wohin sie auch blickte, überall standen Regale voller Bücher. Eine schmiedeeiserne Treppe führte zu weiteren Regalen hinauf und hinunter. »Aber was für eine. Hier müssen Tausende von Büchern stehen.«
»Nach was suchen wir eigentlich?«, fragte Dybbuk und schluckte eine Kohletablette, um das Gefühl der Klaustrophobie zu vertreiben, das sich bereits bei ihm einstellte – was bei Dschinn sehr häufig vorkommt. Fast ebenso unangenehm war ihm der Anblick der vielen Bücher, weil er sie nicht ohne Grund mit Schularbeiten verband, für die er nicht das Geringste übrighatte.
»Alles über Schlangen, denke ich«, sagte Philippa. »Und über Schlangenkulte.« Dann fiel ihr das Bild ein, das Dybbuk in Görings Marschallstab gefunden hatte, und fügte hinzu: »Und über indische Companys und Codes vermutlich.«
»Das wird nicht ganz einfach«, meinte John und betrachtete die ersten zwei oder drei Bände, die ihm in die Hände fielen.»Diese Bücher scheinen nach keinerlei System geordnet zu sein.«
»Ausgeschlossen«, sagte Philippa, ging zum nächsten Regal und fand ein Buch über Astronomie direkt neben einem Gartenbuch, das gleich neben einem Band über Salt Lake City stand. Sie ging die Treppe hinauf ins obere Stockwerk und überprüfte ein weiteres Regal, in dem buchstäblich alles anzutreffen war, von einem Roman von Charles Dickens bis hin zu einem Buch über die Skulpturen von Rodin.
»Das ist absurd«, klagte sie, als sie wieder nach unten kam. »Wie kann man eine Bibliothek führen ohne irgendeine Systematik? Wie soll man da je etwas finden?«
Dybbuk lachte. »Und wie wollen wir jetzt finden, wonach wir suchen?«
»Vielleicht gibt es ein System und wir haben es nur noch nicht verstanden«, vermutete Philippa. »So oder so müssen wir uns aufteilen und an verschiedenen Stellen suchen. John, du gehst nach unten. Buck, du nach oben, und ich bleibe auf dieser Ebene.«
Dybbuk verdrehte die Augen und stöhnte vernehmlich. »Ich hasse Bibliotheken«, sagte er und schlurfte mürrisch zur Treppe. »Ach, übrigens. Da ist noch was, was ihr euch merken solltet, wenn ihr nach Büchern über Schlangen sucht. Der Fachbegriff für die Erforschung von Reptilien lautet ›Herpetologie‹.«
»Ich werd’s mir merken«, sagte John und ging nach unten.
Langsam schritt Philippa einen schmalen, düsteren Gang entlang, in dem sich ein Regal ans andere reihte; sie sah von links nach rechts auf die zahllosen zusammenhanglosenBände und versuchte sich einzureden, dass an dieser Bibliothek nichts Unheimliches war, obwohl sie genau spürte, dass da sehr wohl etwas war. Zum einen funktionierten die Lichtschalter automatisch, sodass immer der Korridorabschnitt erleuchtet wurde, in dem sie sich gerade befand, während der Bereich vor oder hinter ihr komplett im Dunkeln lag. Das gab ihr das Gefühl, allein und isoliert zu sein, obwohl sie deutlich hören konnte,
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