Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
Puri. Ein Stückchen weiter bot ihnen der Jünger eines Gurus namens Masamjhasara aus dem Jayaar-Sho-Aschramin Lucknow eine CD an, auf der der Guru seinen Weg zur geistigen Erleuchtung beschreibt, während ein anderer Mann ihr Fremdenführer sein wollte. Ein Dritter fotografierte sie. Wenn Indien eines ist, dann rege und geschäftig; und weil so viele Leute ihnen etwas verkaufen wollten, entging den beiden Dschinn, dass man ihr Bild mit einer Wärmekamera geknipst hatte. Für die meisten Menschen hätte das keine Rolle gespielt; doch für Dschinn, die aus Feuer bestehen und deren Körper ein sehr deutliches dunkelrotes Hitzesignal ausstrahlen, spielte es durchaus eine Rolle – wie Nimrod und Mr Rakshasas bald zu ihrem Leidwesen feststellen sollten. Und zwar auf eine Weise, die ihnen der Grüne Derwisch bereits vorhergesagt hatte. Aber, wie Mr Rakshasas es vielleicht ausgedrückt hätte, der Haken an Prophezeiungen ist, dass sie manchmal in Erfüllung gehen müssen, damit sie richtig verstanden werden.
Indien ist die Heimat der Currygerichte und das schärfste von allen heißt
Phal
. Die Schärfe eines Currys hängt von der Anzahl der Chilischoten ab, die bei der Zubereitung verwendet werden. Je mehr Chilischoten, desto schärfer das Curry. Da Dschinn aus Feuer bestehen, lieben sie besonders scharfe Currys, allen voran
Phals,
und sie verkraften mehr Chilischoten in einem
Phal
als alle Menschen.
Mr Rakshasas besuchte seit vielen Jahren ein Restaurant gleich neben dem Hauptpostamt von Kalkutta, das »Siraj-ud-Daula Curry House« heißt. Der Eigentümer, ein Mr Hinduja, kannte Mr Rakshasas sehr gut und wusste von seiner Vorliebe für extrem scharfe
Phals,
deshalb servierte er ihm bei jedemBesuch ein ganz besonderes, aus einundzwanzig Chilischoten bestehendes
Phal
, das er
Vasuki
nannte. Das
Vasuki
war so scharf, dass nur ein einziger Irdischer, Mr Mittal, der Oberkellner des Restaurants, mehr als einen Löffel davon essen konnte, was sich für Mr Rakshasas immer als ganz praktisch erwiesen hatte, weil Mr Mittal auf diese Art feststellen konnte, ob das
Vasuki
auch wirklich scharf genug war. Dieses Mal allerdings mussten die beiden Dschinn feststellen, dass Mr Mittal krank zu Hause lag und nicht vorbeikommen konnte, um das in der Küche des Siraj-ud-Daula zubereitete
Vasuki
vorzukosten.
»Mr Mittal ist heute Nachmittag krank geworden«, erklärte Mr Hinduja. »Aus heiterem Himmel. Es tut mir wirklich leid, aber er ist unpässlich. Nicht gerade sterbenskrank und auch nicht gänzlich siech, verstehen Sie, aber doch überhaupt nicht auf der Höhe.«
»Er hat hoffentlich nichts Falsches gegessen«, sagte Nimrod.
»Aber nein, verehrter Gast«, beteuerte Mr Hinduja. »Jedenfalls nicht hier.«
»Vielleicht sollten wir ein andermal wiederkommen«, sagte Nimrod zu Mr Rakshasas. »Wenn wir Mr Mittals Dienste als Vorkoster wieder in Anspruch nehmen können. Ich möchte keinesfalls riskieren, ein Curry zu essen, das nicht scharf genug ist. Die Enttäuschung könnte ich nicht ertragen.«
Bei diesen Worten schnüffelte Nimrod wie ein hungriger Hund in einem Metzgerladen und zögerte sichtlich, das Restaurant zu verlassen.
»Ja, vielleicht haben Sie Recht«, sagte Mr Rakshasas. »Abermanchmal bedeutet ohne Risiko zu essen, dass man hungrig bleibt.«
Nimrod grinste. »Schön gesagt, Mr Rakshasas.«
Und mit diesen Worten setzten sich die beiden Dschinn an den Tisch, den Mr Hinduja ihnen anbot – den besten im Restaurant. Und dann aßen sie das schärfste
Vasuki
in der Geschichte der Currygerichte, nicht mit einundzwanzig, sondern mit fünfundzwanzig ganzen Chilischoten. Das
Vasuki
war so scharf, dass der Koch und alle anderen Bediensteten aus der Küche kamen, um den beiden Dschinn beim Essen zuzusehen und darüber zu staunen, dass jemand ein so scharfes Curry essen konnte, denn nur der Restaurantbesitzer, Mr Hinduja, wusste, dass sie Dschinn waren.
Allerdings haben scharfe Currygerichte einen großen Nachteil; der starke Geschmack des Currys kann ohne weiteres den bitteren Geschmack eines Schlafmittels überdecken. Die perfekte Gelegenheit für den Aasth-Naag-Kult also, dessen Spione Nimrod und Mr Rakshasas beschattet hatten, seit sie aus den Mangrovensümpfen der Sunderbans zurückgekehrt waren. Es war kein großes Problem für einen der Gefolgsleute, durch die offene Hintertür der Restaurantküche zu schleichen und ein starkes, aber langsam wirkendes Schlafmittel
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