Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
oder ihr werdet euch schrecklich verkühlen.«
Da die Abendtemperatur bei siebenunddreißig Grad lag, schien eine kalte Nacht nicht sehr wahrscheinlich, und genau das sagte Nimrod zu seinem Freund Mr Rakshasas. »Das ist das Problem mit Engeln«, meinte er ein wenig ungehalten. »Manchmal ist es einfach unmöglich, ihre Prophezeiungen zu verstehen.«
Mr Rakshasas schüttelte den alten, turbanumwickelten Kopf. »Wenn sie Ihnen den Gewinner des Galopprennens von Leopardstown verraten würden, wären es keine Engel. Engel sind komplizierter. Sie sind ein Rätsel in einem mystischen Geheimnis. Wenn es Ihnen klar und deutlich lieber ist, Nimrod, brauchen Sie eine Waage und keinen Engel.«
»Vielleicht«, sagte Nimrod. »Manchmal ist es einfach ein wenig verwirrend. Mehr sage ich ja gar nicht. Allein die Vorstellung, dass uns eine kalte Nacht bevorstehen könnte. Außerdem frage ich mich, was wir hier eigentlich tun.«
»Es ist nun mal nicht ihre Art, eindeutig zu sein«, beharrte Mr Rakshasas. »Wenn die Zeit reif ist, werden wir schon verstehen, was er meint.«
Aber Nimrod ließ sich von dem alten Dschinn nicht umstimmen. »Bei meiner Lampe! Ich fange langsam an zu glauben, dass wir ein Phantom jagen«, sagte er. »Wir sind seit einer Stunde hier und haben noch nichts entdeckt.«
»Lassen wir die Kirche im Dorf«, sagte Mr Rakshasas. »Aber ich sage nicht, dass Sie gänzlich Unrecht haben. Offenbar können wir das, wonach wir suchen, nicht erkennen. Jedenfalls nicht heute. Vielleicht ist es besser, wenn wir morgen wiederkommen. Außerdem habe ich seit unserer Ankunft dieses seltsame Jucken im Nacken, als würden wir beobachtet. Und es hat keinen Sinn, eine Falle für den Fuchs auszulegen, wenn er uns über den Rand seiner Zeitung dabei zusieht.«
»Einen Augenblick«, sagte Nimrod. »Sehen Sie mal.« Er deutete auf einen jungen Mann, der wenige Schritte entfernt auf dem Boden saß und die Leute mit einer Schlangenbeschwörung unterhielt. Eine riesige Königskobra, die größte, die Nimrod je gesehen hatte, erhob sich langsam aus einem Korb und wiegte sich im Takt des Flötenspiels. Noch bemerkenswerter aber war, dass der Mann von Zeit zu Zeit die Hand ausstreckte und die Schlange am Kopf berührte. Schließlich wagte es die Schlange, den Arm des Mannes hinaufzugleiten und sich ihm um den Hals zu winden, wo sie ihr bedrohliches Zischen in Richtung Zuschauer fortsetzte.
»Ich frage mich, ob er das ist, wonach wir suchen?«, überlegte Nimrod. »Mit Sicherheit würde nur ein echter Anhänger der Aasth Naag riskieren, von einer so großen Schlange gebissen zu werden.« Er machte eine Pause. »Und natürlich ein Dschinn.«
»Um das festzustellen«, sagte Mr Rakshasas, »müssten wir die Schlange untersuchen und nachsehen, ob ihre Giftzähne entfernt wurden. Und nicht einmal uns dürfte es leichtfallen, das vor so vielen Leuten zuwege zu bringen.«
»Nein, wirklich nicht«, pflichtete Nimrod ihm bei. »Ichdenke, wir haben seit unserer Ankunft ohnehin genug Aufmerksamkeit auf uns gezogen.« Damit meinte er den Umstand, dass die Herren Chatterjee, Mukherjee und Bannerjee – die drei Priester vom Tempel der Fünfundneunzig Kuppeln – ihre wahre Identität erraten hatten und inzwischen ganz West-Bengalen wusste, dass zwei Dschinn die Geistertiger besiegt hatten. »Das nächste Mal müssen wir vorsichtiger sein. Ich hatte diesen Wachturm völlig vergessen. Ich hätte daran denken müssen, ihn zu entfernen, ehe die drei Priester mit dem Boot zurückkamen.«
»Tja, es ist nicht leicht, ein Wunder zu vollbringen und gleichzeitig zu erwarten, dass einen die Leute nicht komisch von der Seite ansehen.« Mr Rakshasas sah dem Schlangenbeschwörer noch einen Moment lang zu und schüttelte dann den Kopf: »Nein. Ich glaube nicht, dass er dem Kult angehört. Sehen Sie nur. Er trägt keinen Naga-Stein, kein Medaillon von der Sorte, wie Ihre Schwester es Ihnen geschickt hat. Ich bezweifle sehr, dass er es ohne ein solches Medaillon um den Hals wagen würde, die Schlange anzufassen.«
»Ja, da stimme ich Ihnen zu«, sagte Nimrod und warf ein paar Rupien in den Korb des Schlangenbeschwörers. »Kommen Sie«, sagte er. »Lassen Sie uns essen gehen. Ich bin halb verhungert.«
Die beiden Dschinn verließen den Maidan und machten sich auf den Weg zum Hotel. Unterwegs versuchten verschiedene Einheimische ihnen etwas zu verkaufen: einen Teppich, ein paar handgeschnitzte Holzelefanten, Blumen und eine Tüte mit Pani
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