Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
das versteinerte Gesicht des Mannes und verlor ein wenig von seiner Kantigkeit, seiner Röte und seiner Härte. Er brachte sogar ein Lächeln zustande, etwas, das seine Gesichtsmuskeln seit vielen griesgrämig im Polizeidienst verbrachten Jahren nicht mehr geschafft hatten.
»Zwei weg, bleibt noch einer«, sagte Philippa.
»He«, sagte der Cop. »Weißt du was? Ich fühle mich wirklich ein wenig verändert. Als wäre ich gar kein schlechter Kerl.«
»Das liegt daran, dass Sie keiner sind«, sagte Philippa. »Sie sind ein netter Kerl. Ein sehr netter Kerl. Wahrscheinlich waren Sie es tief drinnen schon immer. Ich merke es daran, dass ich nicht viel Kraft brauchte, um es aus Ihnen herauszuholen.«
Philippa vergaß dabei, dass der Besitz von Johns Dschinnkraft sie doppelt so mächtig machte wie vorher. Möglicherweise war der New Yorker Polizist doch ein größerer Armleuchter gewesen, als sie angenommen hatte. Doch davon konnte nun keine Rede mehr sein. Er war ein durch und durch guter Mensch, ohne eine Spur von Selbstsucht, was bedeutete, dass er nicht die Absicht hatte, seinen dritten Wunsch an sich selbst zu verschwenden.
Zärtlich tätschelte der Polizist seine Stute Daisy. Er war nicht immer nett zu ihr gewesen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er Daisy ein wenig zu hart geritten hatte. Und erst jetzt fiel ihm wieder ein, warum er überhaupt ein berittener Polizist geworden war – weil er Pferde liebte. Und nicht nur das. Er liebte alle Tiere. Allein der Gedanke an seine Tierliebe trieb ihm das Wasser in die Augen.
»Weißt du was, kleines Fräulein?«, sagte er mit einem lauten Seufzen. »Ich finde es abscheulich, wie die Menschen andere Kreaturen behandeln.« Er wies mit dem Kopf auf die Speisekarte im Fenster des Restaurants, vor dem sie immer noch standen. »Schau dir nur mal an, was die Leute in dieser Stadt alles essen. Einiges davon ist die reinste Tierquälerei.« Bei diesen Worten liefen ihm die Tränen über das dicke Gesicht. »Willst du meinen dritten Wunsch hören? Ich wünschte, in ganz New York könnte niemand mehr Gänseleberpastete essen. Das ist mein Wunsch. Dass niemand mehr Gänseleberpastete essen kann.«
Zunächst hatte Philippa alle Mühe, zu verstehen, von was er eigentlich redete. Dann sah sie auf die Speisekarte, entdeckte Gänseleberpastete unter den Vorspeisen – und überlegte einenMoment, wie sie den selbstlosen, tierlieben Wunsch des Polizisten in die Tat umsetzen könnte.
Philippa hatte keine Ahnung, wie viele Menschen in Manhattan gern Gänseleberpastete aßen. Hinzu kam, dass sie, trotz der Macht, die sie nun besaß, nicht den blassesten Schimmer hatte, wie sie die geschmacklichen Vorlieben Hunderter, möglicherweise sogar Tausender New Yorker beeinflussen sollte. Aber ein Wunsch war ein Wunsch. Deshalb beschloss sie, den dritten und letzten Wunsch des Polizisten auf die einfachste und direkteste Art umzusetzen: indem sie einfach dafür sorgte, dass sämtliche Vorräte an Gänseleberpastete aus New York City verschwanden. Nicht nur aus den Restaurants, sondern auch aus den Zolllagern im Hafen, wo große Dosen voller Gänseleberpastete darauf warteten, entladen zu werden. Auch in den fünf Stadtbezirken von New York ließ sie Gänseleberpastete von den Speisekarten der Restaurants verschwinden. Daher war binnen Sekunden, nachdem sie ihr Fokuswort gesprochen hatte, in ganz New York kein Fitzelchen Gänseleberpastete mehr zu finden, noch wurde sie irgendwo erwähnt.
»Bitte schön«, sagte sie und tippte auf die Speisekarte im Fenster. »Genau, wie Sie es wollten. Sie ist weg. Niemand kann in New York mehr Gänseleberpastete essen. Zufrieden?«
Der Polizist nickte. »Ja«, sagte er. »Vielen Dank, kleines Fräulein.«
»Nein, ich danke Ihnen«, sagte Philippa. »Dafür, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«
»Pass in Zukunft besser auf dich auf.« Mit einem breiten Lächeln im Gesicht stieg der Polizist auf sein Pferd und ritt in Richtung Park davon.
Philippa hatte das Gefühl, eine gute Tat vollbracht zu haben. Doch statt sich dafür zu gratulieren, jemanden in einen besseren Menschen verwandelt zu haben, hätte sie lieber daran denken sollen, dass jeder Einsatz von Dschinnkraft in der Welt der Menschen willkürliche und unvorhersehbare Folgen nach sich zieht. Selbst wenn die Kräfte für einen so offensichtlich guten Zweck eingesetzt werden wie die Rettung der Fettleber einiger französischer Gänse. Denn daraus wird Gänseleberpastete hergestellt: aus der
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