Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
John keinen Unterschied machte, da er ohnehin kein Wort verstand. Die Bücher, aus denen sie vorlasen, schienen in einer Sprache geschrieben, die ihm gleichzeitig vertraut und fremd vorkam. Und dann, ohne mit dem Lesen aufzuhören, standen beide Männer auf und John bemerkte etwas, das er vorher nicht gesehen hatte. Die Männer hatten Angst. Aber wovor?
»Können Sie verstehen, was sie sagen?«, fragte er Mr Rakshasas.
»Es ist Lateinisch«, rief Mr Rakshasas, denn die Stimmen waren inzwischen so laut, dass einem das Zuhören unangenehm wurde.
Der Lärm hatte Leo ins Haus gelockt. Mit wachsendem Entsetzen stand er einen Moment lang im Türrahmen. »Kommen Sie«, sagte er. »Wir müssen verschwinden.
Sofort
. Verstehen Sie denn nicht? Das sind Exorzisten!«
»Boah, was denn für welche?«, fragte John.
»Was spielt das für eine Rolle?«, rief Leo aufgeregt. »Wenn wir nicht sofort verschwinden, wird etwas Schreckliches passieren. Dafür sind Exorzisten da. Sie vertreiben Geister.«
Ehe er ein weiteres Wort sagen konnte, schrie der Bootsmann im Schaukelstuhl laut auf und stürmte durch das Fenster davon. Und erst als die Fensterscheibe nicht in tausend Stückezersprang, wurde John mit gewaltigem Schrecken klar, dass der Bootsmann ein Geist war.
»Er ist tot«, sagte John.
»Das stimmt«, sagte Mr Rakshasas. »Aber ich glaube nicht, dass er sich das selbst eingestanden hat. Er ist verwirrt. Genau wie Leo uns die Verwirrung der Menschen nach ihrem Tod beschrieben hat.«
Doch wenn John geglaubt haben sollte, der Bootsmann sei der einzige Geist in diesem alten Haus, dann hatte er sich gründlich geirrt. Als John und Mr Rakshasas auf ihrem Weg zur Hintertür in die Diele traten, tauchten aus den anderen Stockwerken und Räumen weitere Geister auf. Ältere, uralte Wesen. Geister, die womöglich schon seit Jahrhunderten in diesem Teil des Hudson Valley hausten und die nun schreiend und in großer Verzweiflung aus dem Haus zu gelangen suchten, ehe die beiden Exorzisten noch weiteres Unheil über sie bringen konnten.
»Ich verstehe das nicht«, rief Leo. »Was haben so viele Geister in einem einzigen Haus zu suchen? Das ergibt doch keinen Sinn. Es ist, als hätten sie sich hier vor etwas versteckt.«
John versuchte den in verzweifelter Angst davoneilenden Geistern auszuweichen, doch es war zu spät. Einer von ihnen rannte auf seiner panischen Flucht direkt durch ihn hindurch, sodass er für einen Augenblick selbst um sein Leben lief, was sich entsetzlich anfühlte, und er hörte sich selbst nach Mr Rakshasas rufen. Gleichzeitig überfielen ihn in einer blitzartigen Erkenntnis das Grauen, das
unsagbare
Grauen, das dieser Geist vor seinem Tod vor gut dreihundertfünfzig Jahren erlebt hatte, und die Qualen, die er seitdem erlitt.
Beim ersten Mal dauerte es nur einen Moment. Beim zweiten Mal schien es nie wieder aufhören zu wollen …
Er rannte durch den feuchten Wald um sein Leben. Die frühlingshafte Morgenluft im Hudson Valley war erfüllt vom Geruch des Schießpulvers und nasser Brennnesseln und vom Geschrei kriegerischer Mohikaner, die sich aus dem Nichts auf die kleine Schar holländischer Fallensteller gestürzt hatten. Es war, als wären die Büsche und Bäume um sie herum lebendig geworden.
Die Waffen der Indianer waren primitiv, aber wirkungsvoll: Kriegskeulen, Tomahawks, Pfeile und Bogen. Er hatte mit angesehen, wie sein eigener Vater von einer Kriegskeule, die aussah wie eine kleine Pflugschar, niedergestreckt wurde. Ein Pfeil mit steinerner Spitze hatte seinen älteren Halbbruder getötet. Einige aus ihrer Schar hatten ihre Steinschlossgewehre abgefeuert, aber die meisten von ihnen hatten einfach nicht genug Zeit gehabt und nicht genügend Abstand, um zum Schuss zu kommen. Und nun rannte er selbst um sein Leben, auch wenn er keine Ahnung hatte, wohin. Das Einzige, was zählte, war fortzukommen. Zu flüchten. Den Mohikanern weit genug davonzulaufen, um sich zu verstecken, und dann, im Schutz der Dunkelheit, den Weg zurück ins Fort zu suchen. Dass er noch ein Junge war, würde ihm bei den Mohikanern wenig nützen. Wenn sie ihn fingen, würden sie ihn töten oder, noch schlimmer, foltern und dann skalpieren. Er lief wie ein gejagtes Reh, seine flinken jungen Füße berührten kaum den unebenen Boden.
Natürlich war es ein Racheakt. Nur wenige Tage zuvorhatte ein holländischer Obstfarmer eine Mohikanerin getötet, weil sie ein paar Pfirsiche gestohlen hatte. Aus irgendeinem Grund
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