Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
dich zum nächsten Blauen Dschinn von Babylon machen.«
»Das ist doch blödsinnig«, platzte Philippa heraus. »Ich bin erst zwölf!«
»Es hat schon viele Könige und Königinnen gegeben, Schätzchen, die auf den Thron kamen, bevor sie aus den Windeln waren. Zu alt oder zu jung, das wurde noch nie als großes Hindernis für ein hohes Amt gesehen.«
»Aber ich will den Posten nicht«, rief Philippa entschieden. »Ich mach das einfach nicht.«
»Das musst du ihr sagen, nicht mir. Wenn du willst, bringe ich dich jetzt zu ihr, dann kann sie vielleicht deine Bedenken zerstreuen.«
»Ja«, sagte Philippa fest. »Bringen Sie mich zu ihr. Je eher ich die Situation erklären kann, desto besser. Ich verstehe, dass dieses Angebot eine große Ehre ist. Aber ich bin einfach nicht bereit, diese Verantwortung auf mich zu nehmen.«
Miss Glovejob führte Philippa aus dem Zimmer, dann durch mehrere lange Gänge und ein breites Treppenhaus hinunter. Kein Mensch schien sich im Haus aufzuhalten, aber Philippa bekam sehr bald den Eindruck, dass es hier spukte: In einem Raum sah sie einen Staubsauger, der sich von selbst bewegte, und am Fuß der Treppe stieß sie auf ein Staubtuch, das ohne Zutun das hölzerne Geländer polierte. Als Miss Glovejob Philippas erschrockene Miene sah, erklärte sie ihr, Ayeshas Bedienstete seien alle unsichtbar.
»Ich bin das einzige sichtbare Mitglied ihrer Dienerschaft hier in Babylon«, sagte sie. »Unsichtbare Diener sind schon am besten. Wenn man einen Diener sehen kann, fühlt man sich immer irgendwie verpflichtet, mit ihm zu reden. Aber bei unsichtbaren Dienern ist das unnötig. So hat es die alte Dame gern: Hören soll man sie gelegentlich, aber sehen nie.«
»Aber macht es ihnen nichts aus, dass sie unsichtbar sind?«
»Sie werden gut bezahlt.« Miss Glovejob schüttelte den Kopf. »Sie tun ihre Arbeit, und wenn sie nach Hause gehen, werden sie wieder sichtbar. Da ist wirklich nichts dabei.«
»Ich könnte mich nie an unsichtbare Diener gewöhnen«,sagte Philippa schaudernd. »Es sind doch Menschen. Nein, ich könnte nie hier leben.«
»Müsstest du auch nicht«, sagte Miss Glovejob. »Sobald der Palast dir gehört, kannst du ihn so gestalten, wie du willst: minimalistisch modern, altmodisch, im Stil der Sechziger, nach Art des Rokoko – alles. Du kannst ihm sogar wieder sein ursprüngliches Aussehen geben, wie es in der Antike war. Er muss nicht so wie jetzt aussehen. Ich war noch nie in einer Dschinnflasche oder einer Lampe – Ayesha sagt, das würde ich nicht überleben –, aber ich glaube, das Prinzip ist sehr ähnlich.«
Philippa schüttelte immer noch den Kopf. »Der Palast könnte aussehen wie das Hotel Ritz, und ich würde trotzdem nicht hier leben wollen.«
»Ayesha hat natürlich Macht. Was sie wünscht, setzt sie um. Die neuesten Bücher, die aktuellsten Filme, das beste Essen und den edelsten Wein. Aber in jeder anderen Hinsicht ist sie ganz auf mich angewiesen. Ich schmeichle mir, dass wir im Lauf der Jahre ganz gute Freundinnen geworden sind.«
Sie betraten einen weitläufigen weißen Raum, der dem Aussehen nach eher dem Palast eines indischen Maharadschas nachempfunden war.
»Viktoria war neben Königin von Großbritannien auch Kaiserin von Indien«, erklärte Miss Glovejob. »Was sich in der Ausstattung dieses Raumes zeigt. Er wird Durbar-Raum genannt, nach dem Hindustani-Wort, das eine besondere Feierlichkeit bezeichnet. Ich war selbst nie in Indien. Aber es ist großartig.«
»Von wo genau kommen Sie, Miss Glovejob?«
»Greenville, North Carolina. Eines Tages will ich dorthin zurückkehren.«
»Seit wann waren Sie denn nicht zu Hause?«
»Seit ungefähr fünfzig Jahren. Seit ich meinen Dienst bei Ayesha angetreten habe.«
»Fünfzig Jahre ist das her, dass Sie zuletzt daheim waren?«
Miss Glovejob nickte ein bisschen wehmütig.
»Aber warum nehmen Sie sich nicht mal Urlaub?«
Sie setzten sich auf eine Bank neben dem Fenster, das auch hier keinerlei Aussicht bot, nur wieder dieses gleiche matte Licht wie im Schlafzimmer.
»Bei dieser Arbeit gibt es keinen Urlaub«, sagte Miss Glovejob. »Das war Teil der Vereinbarung mit Ayesha, als ich bei ihr anfing. Eine andere Bedingung war, dass ich niemals um Lohnerhöhung bitten darf. Ich sollte zu Beginn meine Gehaltsforderung nennen, und diese Summe würde ich bekommen, solange ich bei ihr arbeitete. Ich verlangte 15 000 Dollar im Jahr. Und ich kann dir sagen, in den fünfziger Jahren war das ein
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