Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
spielt es aber sehr wohl eine Rolle. Eine große sogar.«
»Wie das?«
»Vor kurzem kam ich in den Besitz eines Exemplars der Bellili-Schriftrollen.«
»Ich dachte, dieses Buch ist nur eine Legende?«
»Das dachte ich auch. Aber ich habe eine Kopie von Virgil Macreeby gekauft.«
»Der Gauner. Ist es denn echt?«
»O ja. Und ich habe etwas Interessantes erfahren. Etwas Interessantes und höchst Beunruhigendes: Der Text enthältnicht nur Informationen, wie man in das Reich Iravotum kommt, sondern Bellilis Hohepriester Eno beschreibt auch, wie der herkömmliche Vorgang, durch den ein Dschinn in den Zustand jenseits von gut und böse gelangt, von einem gewissenlosen Dschinn unterlaufen werden kann. Es scheint, dass Gleichgültigkeit gegenüber Gut oder Böse durch den Kontakt mit dem Baum der Logik erreicht wird. Mit seinen Früchten und dem Duft seiner Blüten.«
»Ich habe mich tatsächlich immer gefragt, wie das vor sich geht«, sagte Edwiges.
»Wenn jedoch, laut Eno, der Saft der Früchte verfeinert und dann zu Alkohol vergoren wird, wirkt er um vieles stärker und verhindert dadurch, dass eine Gleichgültigkeit gegen das Böse entsteht. Mit anderen Worten, wir dürfen uns einen Dschinn vorstellen, mächtig wie Ayesha, der nur gegen das Gute gleichgültig ist, aber nicht gegen das Böse.«
»Und was bringt dich auf den Gedanken, Nimrod, dass jemand diese Möglichkeit nutzen könnte?«
»Als mir Macreeby eine Kopie seiner Übersetzung verkaufte, sagte er, dass noch ein anderer Dschinn eine besitzt. Mimi de Ghulle. Damals maß ich der Sache noch keine große Bedeutung bei. Aber seit ich nun das Buch gelesen habe, bin ich überzeugt, dass Mimi es genau deshalb haben wollte: damit sie, wenn sie nächster Blauer Dschinn wird, die alten Rituale verfälschen und ihre Position zum Vorteil für sich und ihren Stamm ausnutzen kann. Wenn das passiert, wäre die Balance der Kräfte zerstört und es würde wieder Chaos herrschen.«
»Was du mir da erzählst, ist niederschmetternd«, sagte Edwiges.»Man kann nur das große Schaudern bekommen bei der Vorstellung, was geschehen könnte, falls Mimi mit ihrem Plan Erfolg hat. Sie würde Salomons Grimoire in die Finger bekommen, und jeglicher Sinn für das Gleichgewicht der Kräfte wäre dahin. Mimis neue Fähigkeit, andere Dschinn ihrem Willen zu unterwerfen, würde sie praktisch zu einem Diktator machen. Genauer gesagt, zu einer Diktatorin.« Edwiges schüttelte zornig den Kopf. »Mimi hatte schon immer eine ehrgeizige Ader. Und sie würde sich mit diesem Ziel nicht einmal zufrieden geben. Wahrscheinlich würde sie versuchen, ihre Tochter … wie heißt sie noch mal?«
»Lilith.«
»Ja, Lilith. Unangenehmes Mädchen. Mimi würde wahrscheinlich versuchen, sie zu ihrer Nachfolgerin als Blauer Dschinn zu machen. Wir könnten uns also auf eine De-Ghulle-Dynastie in Babylon gefasst machen.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, gab Nimrod zu. »Aber natürlich hast du Recht. Was wollen wir tun?«
»Wir müssen sie stoppen, Nimrod. Das müssen wir. Ich meine, wir können nicht zulassen, dass Ayesha Philippa zum nächsten Blauen Dschinn macht, aber ebenso wenig dürfen wir zulassen, dass Mimi de Ghulle den Posten bekommt. Mimi wäre eine sehr schlechte Alternative. Vor allen Dingen, wenn sie weiß, wie sie die Rituale, an die der Blaue Dschinn gebunden ist, ihren eigenen boshaften Plänen anpassen kann. Die Frage ist nur: Wenn es nicht Philippa sein soll und nicht Mimi de Ghulle, wer dann? Weißt du was? Du musst unbedingt jemanden finden, der sich dafür eignet. Es muss natürlich ein weiblicher Dschinn sein. Und einer, von dem sich mit Sicherheitsagen lässt, dass er die Position nicht für eigennützige Zwecke ausnutzen wird.«
»Da sind wir ganz einer Meinung«, sagte Nimrod. »Und das ist auch der eigentliche Grund, weshalb ich in Monte Carlo bin. Ich dachte nämlich, dass
du
die Aufgabe übernehmen könntest.«
»Ich? Wie kommst du denn auf die Idee? Ich eigne mich ganz und gar nicht dafür.«
»Unsinn«, sagte Nimrod und legte Edwiges den Arm um die Schultern. »Du wärst sogar perfekt. Du bist allein stehend, intelligent, über hundert Jahre alt, hast lebenslange Erfahrung im Dienst an der Allgemeinheit hinter dir, und vor allen Dingen: Du bist eine gütige Person. Ich kann mir wirklich niemanden vorstellen, der besser für dieses Amt geeignet wäre.«
Edwiges lächelte. »Findest du das wirklich?« Ihr Lächeln hielt sich noch eine Weile, dann verschwand
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