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Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Titel: Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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drang. Neil schüttelte sich, dann legte er sich erschöpft auf den Boden und sah seinem jungen Herrn zu, wie er seine Brust abtastete und dann sein Hemd zuknöpfte.
    »Nach Enos Beschreibung«, sagte John, immer noch schlotternd vor Angst, »kommen noch vier Wächter, denen ich mich ergeben muss, und den fünften muss ich dann töten. Hoffentlich ist das der Idiot, der sich diese blöden Mutproben ausgedacht hat. Ich bin jetzt schon ganz zittrig.« Er zog Alans Kopf an seine Brust. »Hör mal, wie mein Herz pocht«, sagte er und stieß ein nervöses Lachen aus. »Fühlt sich an wie ein kleiner Vogel, der aus einem Käfig rauswill. Wenn dieser Tag vorbei ist, werde ich wissen, ob mein Herz in Ordnung ist oder nicht. Aber vielleicht ist ja gerade das der Sinn der Übung.«
    Tapfer ging John weiter. In ziemlich rascher Folge musste er sich nun einem Bogenschützen unterwerfen, der einen Pfeilauf ihn abschoss, ohne wirklich zu treffen, und danach einem kraftstrotzenden Ringer, der ihn hochhob und auf den Boden schmetterte, ohne ihn wirklich zu verletzen. Bei der fünften Mutprobe – bei der John seinen Kopf in das Maul eines Löwen halten musste – langweilten ihn diese unterirdischen Wächter schon fast.
    »Ich finde, nach dreien hat man’s kapiert«, sagte er und ging unbeirrt durch den von einem Drachen ausgestoßenen Feueratem. »Nämlich, dass einem nicht viel dabei passiert. Drei hätten eigentlich gereicht.«
    Aber nachdem er nun sechs der sieben Mutproben hinter sich gebracht hatte, war er mit den Nerven vollkommen am Ende und kaum mehr in der Lage, eine Heuschrecke zu töten, geschweige denn das, was hinter der nächsten Kurve liegen mochte. Er spürte die Anstrengung in allen Knochen und versuchte, sich Mut für die Begegnung mit dem letzten der sieben Wächter zu machen. »Ich könnte mir denken, dass ich gar nicht richtig töten muss«, sagte er zu Alan und Neil. »Genauso wenig wie ich selbst getötet worden bin. Was meint ihr?«
    Die beiden Hunde bellten ermutigend, hofften aber insgeheim, dass es sich bei dem Wesen, das John möglicherweise doch würde töten müssen, um eine echte Kuh handelte – in diesem Fall bekämen sie frisches Fleisch zwischen die Zähne. Als Hunde hatten sie nicht die Bedenken ihres jungen Herrn, der nie ein Lebewesen töten würde – höchstens ein Insekt.
    John war nicht auf die Begegnung gefasst, die ihn hinter der nächsten Windung des spiralförmigen Weges erwartete: Hier stand nämlich in voller Größe, in seinem geliebten
Badoglio -
Nadelstreifenanzug
und seinen besten
Cascio Ferro
-Schuhen –sogar in dem Hemd, das seine Kinder ihm zu Weihnachten geschenkt hatten – Johns Vater.
    »Hallo, John«, sagte er. »Schön, dich zu sehen.«
    »Dad!«, rief John. »Was um Himmels willen machst du denn hier?«
    »Nein – was machst
du
hier?«
    Alan und Neil liefen auf ihren Bruder zu und wollten an ihm hochspringen und ihm das Gesicht lecken, wie sie es zu Hause immer taten – oft musste Mister Gaunt dann seine Brille abnehmen und trockenreiben, denn auf den Hinterpfoten stehend waren die Hunde so groß wie er. Aber plötzlich blieben sie wie angewurzelt stehen und wichen vor der Gestalt zurück, aufgeregt knurrend, als spürten sie etwas Bedrohliches. Sie sahen John an und bellten, aber John wusste auch ohne ihre Warnung, dass dieser Mann hier nicht sein Vater war – nicht sein konnte. Und doch   …
    »Wie kommst du hierher, Dad?«
    »Gute Frage. Ich weiß es selber nicht genau.«
    Eine unverfängliche Antwort so weit. Aber nach der Erfahrung mit den vorausgegangenen sechs Wächtern war John nicht geneigt zu glauben, was er mit eigenen Augen sah: dass sein Vater tatsächlich hier stand. Es sei denn, alle vorherigen Mutproben waren extra so raffiniert ersonnen, um ihn mit der Echtheit dieses letzten Wächters in die Irre zu führen. John trat auf seinen Vater zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Der Anzugstoff war aus Kaschmir. Und war das nicht der Duft nach
Aqua di Sola
, dem Lieblingsrasierwasser seines Vaters? Sogar das Pfefferminzbonbon stimmte; Mister Gaunt lutschte immer Pfefferminz, wenn er eine Zigarre gerauchthatte. Wenn das ein Hirngespinst oder irgendein Trugbild war, dann sah es so täuschend echt aus wie die goldene
Canard Périgord- Uhr
am Handgelenk seines Vaters. All das waren gute Gründe, warum John nicht bedenkenlos das Schwert gegen diesen Mann richten und ihn töten konnte – erst musste er hundertprozentig sicher sein, dass er es mit einem

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