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Die Kinder des Kapitän Grant

Die Kinder des Kapitän Grant

Titel: Die Kinder des Kapitän Grant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ist sich fremd, wenn nur ein Wald uns trennt! England grenzt an Australien, während Aegypten z.B. Millionen Stunden weit vom Senegal entfernt, und Peking der Antipode von St. Petersburg zu sein scheint! Ueber das Meer reist man jetzt bequemer, als durch die kleinste Wüste, und ihm ist es zu verdanken, daß sich, wie es ein amerikanischer Gelehrter 2 ganz richtig ausdrückt, zwischen allen Theilen der Erde eine Art internationaler Verwandtschaft herausgebildet hat.«
    Paganel sprach mit Feuer, und selbst der Major verwarf diesmal kein Wort dieser Hymne auf den Ocean. Wenn es zur Aufsuchung Harry Grant’s nöthig gewesen wäre, in der Linie des siebenunddreißigsten Breitengrades einen Continent zu durchmessen, hätte man das Unternehmen kaum wagen können; jetzt war aber das Meer da, die kühnen Forscher von einem Lande zum andern zu tragen, und am 6. December schon, beim ersten Tagesgrauen ließ es einen neuen Berg auf seinem Wellenschoße auftauchen.
    Es war das die Insel Amsterdam, umter’m 37°47’ südlicher Breite und 77°24’ östlicher Länge 3 , deren Gipfel bei heiterm Wetter wohl bis auf fünfzig Meilen weit sichtbar ist. Um acht Uhr glich ihre noch unbestimmt hervortretende Form ungemein der der Insel Teneriffa.
    »Und folglich, sagte Glenarvan, gleicht sie auch Tristan d’Acunha.
    – Ganz richtig, antwortete Paganel, nach dem geometrographischen Axiom, daß zwei Inseln, die einer dritten gleichen, sich auch unter einander gleichen. Ich füge hinzu, daß die Insel Amsterdam, wie Tristan d’Acunha, an Robben und Robinsons gleichmäßig reich war und noch ist.
    – Robinsons giebt es also wohl überall? fragte Lady Helena.
    – Wahrhaftig, Madame, antwortete Paganel, ich kenne wenige Inseln, die nicht ihr derartiges Abenteuer erlebt hätten, und lange Zeit vor der Erzählung Ihres unsterblichen Landsmanns, Daniel de Foë, hatte der Zufall diese schon in der Wirklichkeit in Scene gesetzt.
    – Würden Sie mir wohl gestatten, Herr Paganel, sagte da Mary Grant, eine Frage an Sie zu richten?
    – Zwei, meine liebe Miß, und ich verpflichte mich auch, sie zu beantworten.
    – Würden Sie sich sehr entsetzen bei dem Gedanken, auf einer unbewohnten Insel verlassen zu sein?
    – Ich! rief Paganel.
    – Nun schnell, lieber Freund, sagte der Major, gestehen Sie nur zu, daß das Ihr sehnlichster Wunsch wäre.
    – Ich sehne mich nicht gerade darnach, erwiderte der Geograph, doch am letzten Ende würde mir das Abenteuer nicht allzusehr mißfallen. Ich würde eben ein ganz neues Leben beginnen. Ich ginge jagen und fischen, erwählte mir für den Winter zur Wohnung eine Höhle, für den Sommer einen Baum; richtete Magazine für meine Ernten ein und würde so meine Insel zu colonisiren suchen.
    – Sie ganz allein?
    – Ich ganz allein, wenn’s nöthig wäre. Ist man denn übrigens jemals allein auf der Welt? Kann man sich nicht Freunde aus dem Thierreiche suchen? Kann man sich denn nicht eine junge Ziege zähmen, einen geschwätzigen Papagei, oder einen liebenswürdigen Affen? Und wenn Ihnen der Zufall einen Genossen, wie den treuen Freitag sendet, was braucht es dann mehr, um glücklich zu sein? Zwei Freunde unter einem Felsen, – da haben Sie das Glück. Nehmen Sie an, der Major und ich …
    – Danke bestens, fiel der Major ein, ich finde nicht den geringsten Geschmack an der Rolle eines Robinson, und würde sie herzlich schlecht spielen.
    – Bester Herr Paganel, meinte Lady Helena, Sie verlieren sich so leicht in die Gefilde der Phantasie. Ich glaube nur, daß die Wirklichkeit dem schönen Traume sehr wenig entspricht. Sie denken nur an jene imaginären Robinsons, die ganz vorsorglich an eine wohl ausgewählte Insel verschlagen werden und welche die Natur wie verwöhnte Kinder behandelt. Sie sehen eben nur die glänzende Seite der Dinge.
    – Wie, Madame, Sie glauben nicht, daß man auf einer verlassenen Insel glücklich sein könne?
    – Ich denke es nicht. Der Mensch ist zur Geselligkeit, nicht zur Einsamkeit geschaffen. Die Einsamkeit kann nur die Verzweiflung erzeugen. Es ist das übrigens eine Frage der Zeit. Wohl mögen die Sorgen um das materielle Leben, die Bedürfnisse für seine Existenz, den kaum vom Wellentode geretteten Unglücklichen zerstreuen, und die Noth der Gegenwart ihm die drohende Zukunft verschleiern; das ist wohl möglich! Dann aber, wenn er sich allein fühlt, fern von Seinesgleichen, ohne Hoffnung, sein Vaterland und seine Lieben wiederzusehen, was muß er dann denken, was muß er

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