Die Kinder des Ketzers
ausgesprochener Beliebtheit erfreute. Das Brüllen und Lachen der Teilnehmer und Zuschauer war weithin zu hören. Besonderes amusement erregte der Umstand, dass auch einige der anwesenden Damen an dem Spiel teilnahmen. Insbesondere die jungen Edelfräulein aus Navarra waren mit Feuereifer bei der Sache, und sie stellten sich, wie so mancher Kavalier erstaunt bemerkte, gar nicht so schlecht dabei an. Oma Felicitas veranlasste dies zu der Bemerkung, dass es durchaus Frauen gebe, die den Männern im Jeu de Paume ebenbürtig seien, in Paris habe es einst eine Jeu-de-Paume-Spielerin namens Margot gegeben, die auf einer Veranstaltung im dortigen Ballspielhaus die besten Spieler der Stadt besiegt habe. Ein paar Kinder führten mit Stöcken einen Fechtkampf zwischen den Bäumen aus, unter ihnen Frederi Jùli und Theodosius-das-Großmaul, der die ganze 254
Zeit lauthals verkündete, was alles gegen die Regeln war, sobald es gegen ihn eingesetzt wurde. Ausgerechnet der kleine Navarra ging soeben mit hoch erhobenem Stock auf Theodosius los. Fabiou wandte sich seufzend ab; Theodosius war ungefähr doppelt so groß
wie der Kronprinz von Navarra, und er hatte keine Lust, dabei zuzusehen, wie Klein-Henric von seinem Vetter in der Luft zerrissen wurde. Zur Linken waren die Mergoults zu erkennen, mit Alexandres üblichen Genossen – den beiden jungen Senhers St. Roque und Brieul – und einem von Jeans Kumpanen, Andréu d’ Estrave. Bei ihnen befand sich eine Gruppe kichernder Gören, in deren Mitte unschwer Cristino, Catarino und Alessia auszumachen waren. Fabiou beschloss spontan, sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Eingangsbereich zu, wo die Mancoun immer noch mit der gleichen unverwüstlichen Höflichkeit einige Nachzügler in Empfang nahm.
«Ah, Monsieur Grandjean, wie schön, dass Ihr unserer Einladung gefolgt seid. Monsieur Grandjean ist ein bedeutender Kaufmann aus Lothringen», erklärte sie den Umstehenden.
Fabiou stand wie vom Donner gerührt. Das spitzbübische Jungengesicht des Monsieur Grandjean sah er nicht zum ersten Mal. Nur dass der Herr sich bei ihrem letzten Zusammentreffen noch Peter Ingelfinger genannt hatte.
«Fabiou!» Er drehte sich um. Oma Felicitas winkte ihm mit ihrem Stock zu. «Fabiou, komm her.»
Verdammt, gerade jetzt! Mit einem verzweifelten Blick in Richtung des geheimnisvollen Neuankömmlings trottete Fabiou zu seiner Großmutter hinüber, die einen älteren Herrn in italienischer Tracht anstrahlte. «Ille est, nepos meus. – Das ist er, mein Enkel», verkündete sie stolz in ihrem lupenreinsten Latein, als Fabiou näher kam – Jesus, der Italiano konnte offensichtlich kein Französisch! Der fremde Herr deutete eine Verbeugung an. «Angenehm», antwortete er, ebenfalls auf lateinisch.
«Das ist Dottore Eustachi!» Oma Felicitas warf Fabiou einen beschwörerischen Blick zu. So als sei das jemand, den man kennen müsste. «Er ist Wissenschaftler und erforscht die menschliche Anatomie!»
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«Ich hatte die Freude, vor Jahren einmal einen Vortrag Eures Onkels zu hören», erklärte der Herr mit leuchtenden Augen und in ebenso flüssigem wie akzentgefärbtem Latein – egal welche Sprache die Italiener sprechen, es klingt irgendwie immer italienisch, dachte Fabiou.
«Meines Onkels?»
«Dottore Pierre Avingou», erklärte Dottore Eustachi. Fabiou sagte nichts. Er hatte nicht gewusst, dass Pierre Avingou Doktor gewesen war.
«Ein kluger Geist und ein großer Wissenschaftler war er, Euer Onkel!», meinte der Dottore strahlend. «Ich weiß noch wie heute, wie er dem Auditorium sagte: ‹Wissenschaftler zu sein bedeutet, es als unsere heiligste Pflicht zu betrachten, in einer Welt voller Irrtümer und Lügen der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.›
Er war… ein Genie, wirklich. Ich bin sicher, wenn er länger gelebt hätte, wären er und seine Forschung in die Geschichte eingegangen. Es ist eine schreckliche Tragödie, dass er so früh sterben musste.»
«Ja. Gewiss», sagte Fabiou. Natürlich ist es tragisch, wenn einer früh stirbt. Aber tiefergehende Gefühle konnte er für einen Onkel, von dem er kaum den Namen kannte, dann doch nicht aufbringen. Er hoffte, dass Dottore Eustachi ihn jetzt nicht im Detail zur Forschung seines Onkels befragen würde. Er hatte keine Ahnung, was er ihm antworten sollte. Noch dazu auf Lateinisch. Fabiou hatte Glück, denn in diesem Moment wurde die Unterhaltung von lautem Brüllen und schrillem
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