Die Kinder des Ketzers
nächstgelegenen Hauses, wo er sich in eine Nische drückte.
406
Die Stimme kam von vorne, hell, fröhlich, als sänge ein vergnügter Wandersbursche auf seinem Weg in die Welt.
«Adiéu ma soreto
adiéu moun compan
l’uno ié an tua
l’autre tuaran.»
«Leb wohl, meine Schwester,
leb wohl, mein Gefährte,
die eine haben sie getötet,
den anderen werden sie töten.»
Fabiou quetschte sich gegen die Wand, dass ihm die Luft wegblieb. Und in diesem Moment trat er aus dem Haus gegenüber. Das Licht des Mondes warf einen fahlen Schimmer auf seine große, kräftige Gestalt, begleitete seine hellen Augen auf dem Weg, den sie durch die Schatten der Straße nahmen. Er trug etwas unter dem Arm, einen länglichen Gegenstand, nur schemenhaft zu erkennen in der Dunkelheit. Der nackte Schädel glänzte gegen den Hintergrund der grauen Hauswand, während er stand und wartete. Witterte.
In Schauerromanen las man manchmal so Sätze wie «das Blut gefror in seinen Adern vor Entsetzen», und Fabiou hatte sie nie für etwas anderes als gewagte rhetorische Übertreibung gehalten. In diesem Moment aber hätte er nicht gezögert zu glauben, dass es pure Eiskristalle waren, die durch seine Adern kullerten, kalt wie der Schweiß, der ihm von der Stirn tropfte und sich unter seinen Achseln ansammelte. Sein Herz knatterte unter seiner Haut wie eine sturmgepeitschte Flagge, der Herzschlag der Maus zwischen den Krallen der Katze. Er wusste nicht, woher er diese grenzenlose, zweifelsfreie Erkenntnis nahm. Aber er wusste mit der angeborenen Gewissheit, mit der das Huhn den Falken erkennt, dass von dieser hochgewachsenen, breitschultrigen Gestalt eine Gefahr ausging, tödlicher als die Pest und gnadenloser als das Schwert des Henkers.
407
Einen Augenblick lang stand der Fremde so, die Augen in die Nacht gebohrt, die Nase erhoben wie ein Wolf, der eine Witterung aufnimmt. Dann bewegte er sich. Es waren keine Schritte, wie Fabiou sie kannte, Schritte, die ein Geräusch auf dem Pflaster machen, Spuren in weichem Boden hinterlassen konnten. Es waren Schritte, die über das Pflaster zu schweben schienen, lautlos und blitzschnell wie Katzenpfoten. Fabiou presste sich an die Wand, wagte nicht zu atmen, wagte nicht zu blinzeln aus Angst, das Geräusch könnte ihn verraten, verzweifelt hoffend, dass der Lärm seines rasenden Herzschlags nicht bis an das Ohr des Fremden dringen würde, und dieser flog an ihm vorbei, die hohe Stirn, die breite Nase hell gegen die Düsternis, und vorüber war er, und sein Schatten tauchte ein in die trügerischen Schemen der Nacht.
Es fehlte nicht viel, und Fabious Knie hätten nachgegeben vor Erleichterung. Zitternd lehnte er an der Hauswand, versuchte, das Beben seiner Lippen und das Keuchen seines Atems in Griff zu kriegen. Still war es in den Straßen von Ais, als wäre nicht soeben ein todbringendes Raubtier über ihr Pflaster geschossen, still und friedlich wie im Kreuzgang eines Klosters.
Viertel zwölf schlugen die Glocken von Sant Sauvaire. Fabiou trat auf die Straße hinaus, wie man im Kanonendonner auf ein Schlachtfeld hinaustritt: fest überzeugt, jeden Moment von einem schrecklichen Tod ereilt zu werden. Er zweifelte nicht einen Moment, daß der Fremde mit dem kahlen Kopf ihm augenblicklich die Kehle durchschneiden würde wie dem armen Senher Bossard, falls er ihn entdecken würde.
Wer ist er? Nicoulaus Sohn?
Er trat auf das Haus gegenüber zu. Sein Atem keuchte wie nach einem Dauerlauf, als er die Schwelle erreichte. Ein eichenes Portal, daneben ein blitzendes Messingschild. Gastou Austelié, Notar, verriet die Gravur. Die Tür stand einen Spalt breit offen.
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Fabiou jeden für verrückt erklärt, der das getan hätte, was er nun tat, und schon eine Stunde später konnte er sich sein Verhalten nur noch mit einem Anflug geistiger Umnachtung erklären. Er drückte die Tür vollends auf und trat ein.
408
Der Mond erleuchtete nur etwa die ersten drei Schritte des Ganges, die vor ihm lagen. Danach pechschwarze Dunkelheit. Ein unheimliches Echo aus dieser Schwärze, als seine Sohlen auf die Marmorplatten schlugen. Er tastete sich vorwärts, beide Arme suchend ausgestreckt wie ein Blinder. Sein eigener Atem rauschte wie ein Sturm durch seine Ohren.
Ein Glimmen, zu gering um ein Licht zu sein, so schwach, dass es nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen werden konnte und verschwand, wenn man die Augen darauf richtete. Ein Glimmen, das von unten kam, verzerrt im Spiegel
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