Die Kinder des Ketzers
damit die Nachbarn nicht auf das Licht aufmerksam wurden.»
«So.» Crestins Lippen hatten sich zu einem ziemlich spöttischen Lächeln verzogen. «Und dann habt Ihr Euch also auf die Suche nach dem Notar begeben, ja?»
«Ja. Und als ich hier auf dem Gang war, sah ich, dass diese Tür nicht ganz zu war.»
«Und daraufhin seid Ihr hineingegangen und dem Mann mit der Maske in die Arme gerannt. Etwas Näheres habt Ihr vermutlich nicht erkennen können.»
«Na ja, wie man’s nimmt.» Fabiou runzelte die Stirn. «Er war nicht sehr groß, würde ich sagen. Kaum größer als ich und eher schmächtig gebaut. Er war völlig in Schwarz gekleidet, glänzend schwarz, Seide vielleicht, auf dem Kopf eine schwarze Kapuze, und 413
das Gesicht war hinter dieser Maske verborgen. Eine Maske mit einem lachenden Mund und einer roten Träne, die aus einem Auge läuft. Dem rechten, um genau zu sein.»
«Findet Ihr mit Eurem messerscharfen Verstand vielleicht auch noch eine logische Erklärung dafür, dass er Euch am Leben gelassen hat, nachdem Eurer Meinung nach der andere Mensch, der die Eindringlinge überrascht hat, dies mit seinem Leben bezahlt hat?», fragte der Viguié zynisch.
Fabiou rang etwas um Fassung; die Worte des Viguiés hatten sein Gesicht vollends der Farbe beraubt. «Nun», krächzte er, «es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Ad unum, da er maskiert war, hielt er es nicht für nötig, da ich ihn ja nicht identifizieren könnte. Ad altrum, der Mörder war allein der Kahle und der mit der Maske hatte mit dem Mord nichts zu tun.»
«Zwei Leute, die absolut nichts miteinander zu tun haben, geistern in einem Haus herum, in dem ein Mord geschieht? Na, ich weiß nicht», meinte der Viguié.
«Wieso nicht? Ich war ja schließlich auch in dem Haus», entgegnete Fabiou.
«Das ist wahr.» Crestin lachte. «Nun, junger Freund, da Ihr so unglaublich schlau seid, habt Ihr sicher auch eine Theorie, wer hinter all diesen Morden steckt, nicht wahr?»
Er nimmt mich nicht ernst, ich merke es doch! «Ich denke, es ist der junge Nicoulau!», erklärte Fabiou kühl.
Oh ha, jetzt hatte er Crestin aber aus der Reserve gelockt. Dem Viguié fielen schier die Augen aus dem Kopf. «Der… wie bitte?»
«Enri Nicoulaus Sohn.» Fabiou grinste genüsslich. Da staunst du, was? «Er ist 1545 der Hinrichtung entgangen, geflohen, schätze ich. Er hätte einen Grund gehabt, Bossard zu töten, schließlich war der an der Gefangennahme seines Vaters beteiligt und somit auch für dessen Tod verantwortlich. Und es würde auch die Schrift ‹ Santonou› erklären, die bei jedem der Morde auftaucht.»
«Wie kommt Ihr auf die Idee, dass Nicoulau einen Sohn hatte?», fragte der Viguié entgeistert.
«Steht in den Annalen von Galaud. Und da steht auch, dass der junge Nicoulau verhaftet wurde, aber in der Liste der Verurteilten 414
taucht er dann nicht mehr auf. Daraus schließe ich, dass er es irgendwie geschafft hat zu entkommen.»
Crestin starrte ihn an. Er wirkte plötzlich etwas beunruhigt.
«Und selbst wenn es so sein sollte», murmelte er, «was hätte dieser Nicoulau für einen Grund, den Notar und Euren deutschen Kaufmann umzubringen? Und warum sind dann auf der anderen Seite Leute wie Maynier und Archimède Degrelho noch am Leben?»
«Nun, es ist doch durchaus möglich, dass der Notar und auch Trostett in irgendeiner Form zur Ergreifung der Antonius-Jünger beigetragen haben. Man könnte das doch überprüfen… man müsste zum Beispiel nur die Akten des Notars aus dem Jahre 1545
untersuchen…» Fabiou ignorierte, dass Crestin unwillig die Augen verdrehte, und fuhr fort: «Da wir beim Thema sind – hatte Joan lou Pastre eigentlich eine Schwester?»
«Wie bitte?»
«Vorhin, auf der Straße, kurz bevor der Kahle aus der Haustür kam, da hat jemand gesungen. Es war die Melodie von ‹Aqueli mountagno›, aber der Text war ein anderer. Es ging los mit ‹Joan sieu lou pastre›, und an irgendeiner Stelle hieß es dann: ‹adiéu, ma soreto›.»
Crestin zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung. Kann gut sein, dass der Kerl eine Schwester hatte. Kann genauso gut auch nicht sein. In der Sprache dieser Leute wird oft auch eine Geliebte als ‹Schwester› bezeichnet.»
«In dem Lied hieß es dann, die Schwester sei getötet worden
– wenn ich’s richtig verstanden habe», erklärte Fabiou.
«Die meisten dieser Kerle sind damals getötet worden», antwortete Crestin seufzend. «Wenn Joan eine Schwester oder eine Geliebte
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