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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Stiefvater hinterherstarrte, bis sie sich schließlich umwandte und hastig zwischen den Marktständen davonlief. Die Marktfrauen warfen ihr böse Blicke hinterher, und eine schlug hastig ein Kreuz. «Protestantengesocks!», rief eine von ihnen wütend. Er schaffte es, mit dem Cavalié aufzuschließen, bevor dieser die Frauen wieder erreicht hatte, die gerade mit dem Händler um den Preis der Perlmuttschatulle feilschten. «Wer war das denn, Vater?», fragte er so unschuldig wie möglich.
    «W…wer?»
    «Na, die Frau eben. Ihr habt sie doch gekannt, oder?», fragte Fabiou.
    «Die… die Frau… äh… ja, das war die Witwe Carbrai, ja, die Witwe Carbrai…» Der Cavalié wurde zur Abwechslung knallrot.
    «Carbrai? Der Name sagt mir gar nichts», meinte Fabiou.
    «Antoine Carbrai. Das war ihr Mann, ihr verstorbener… Ein französischer Kaufmann, weißt du… Wir haben früher oft bei ihm eingekauft… Gewürze und Seide und so… Fabiou, du solltest mal nach Theodosius sehen, nicht dass er noch verloren geht!» Der Cavalié hastete weiter und ließ Fabiou stehen. Wieso suche ich eigentlich nach den Mördern fremder Leute, dachte Fabiou kopfschüttelnd. In meiner eigenen Familie gibt es offensichtlich Rätsel genug!
    ***
    «Car-fa-dra-el!»
    Fabiou lag rücklings auf einem Strohballen im Dachstuhl des Pferdestalles und schielte an einem losen Schindel vorbei den fernen Sternenhimmel an. Wie eine dreizackige Krone schwang sich das Sternbild der Cassiopeia durch die Lücke zwischen den Dachplatten.
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    «Er ist das größte Rätsel von allen, Loís», sagte er nachdenklich.
    «Wer ist er? Ein Adliger, wie Suso sagt? Wenn ja, warum hat er dann diesen Joan befreit? Einen Räuber und Wegelagerer! Ich meine, das macht doch keinen Sinn, oder?»
    Loís lag im Schein einer Öllaterne auf den Holzbohlen, die Nase in ein dickes Buch vergraben. DE IURE ROMANA – Vom römischen Recht. «Vielleicht fand er es einfach ritterlich, das zu tun», meinte er abwesend.
    «Ritterlich?» Fabiou riss sich vom Anblick der Cassiopeia los.
    «Ritterlich ist, wenn du ein unschuldiges Mädchen vor einem wüsten Unhold beschützt, und nicht wenn du einen Räuber vor seiner gerechten Strafe bewahrst!»
    «Nun, offensichtlich fand dieser Carfadrael genau das nicht», meinte Loís.
    «Was?»
    «Na, dass die Strafe gerecht sei.» Loís hob den Kopf und stützte sich auf einen Ellenbogen auf.
    «Aber er war ein gefährlicher Räuber!», rief Fabiou aus. «Er hatte doch den Tod verdient!»
    «Das finden Senher Auban und die Annalen von Galaud», sagte Loís. «Suso war durchaus nicht der Meinung, dass er den Tod verdient hätte.»
    «Ach, Suso! Sie ist…»
    «… jemand, dem Bossard großes Leid zugefügt hat und dem Joan lou Pastre sehr geholfen hat», fiel ihm Loís ins Wort.
    «Sie ist eine Bäuerin. Sie kann das doch gar nicht beurteilen», meinte Fabiou.
    «Ich denke schon, dass sie beurteilen kann, wer ihren Vater umbringt und wer ihr was zu essen gibt», erklärte Loís. «Überhaupt, warum glaubt Ihr ausgerechnet Eurem Onkel in dieser Angelegenheit mehr als ihr? Zählt denn die Meinung eines Menschen nur, wenn er von hohem Stand ist?»
    «Sie ist ein Weib», warf Fabiou ein.
    «Sie ist ein Weib, Joan war ein Schäfer, ich bin ein Pferdeknecht. Der Bodensatz der Gesellschaft, ich weiß.»
    «Red‘ keinen Unsinn, bei dir ist das etwas anderes», sagte Fabiou.
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    «Wieso?»
    «Na… du kannst Lesen und Schreiben, du bist gebildet…»
    «Ich kann nichts dafür, dass ich die Chance hatte, Lesen und Schreiben zu lernen, genauso wenig wie Suso und Joan lou Pastre etwas dafür können, dass sie diese Chance nicht hatten. Genauso wenig wie ich etwas dafür konnte, als Sohn eines Dieners zur Welt zu kommen und wie Ihr etwas dafür könnt, Baroun zu sein.»
    «Ach Mann, du bist sophistisch!» Fabiou warf sich wieder auf den Rücken.
    «Und Ihr seid engstirnig», entgegnete Loís.
    «Iiiiich?» Fabiou fuhr auf.
    «Ja. Ihr behauptet, dass Ihr die Wahrheit wissen wollt, aber alles, was nicht in Euer Weltbild passt, ignoriert Ihr. Warum könnt Ihr nicht wenigstens die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Joan lou Pastre vielleicht nicht das Ungeheuer war, als das alle ihn hinstellen? Dass vielleicht sogar etwas Gutes in seinen Taten lag?»
    Fabiou nagte an einem Strohhalm herum. «Und selbst wenn», meinte er verstimmt, «selbst wenn dieser Joan vielleicht seine guten Seiten hatte, dann doch nur aus Sicht der Bauern. Die Edelleute hat er bestohlen

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