Die Kinder des Ketzers
d’Astain ständig mit giftigen Blicken bombardierte, als wäre dieser direkt für Cristinos Kollaps verantwortlich. Die Barouno Degrelho, mittlerweile in einem modischen Abendkleid und offensichtlich wieder etwas besser disponiert, tigerte händeringend und jammernd durch den Raum, das arme Mädchen, ach, die Strapazen, ach, die Aufregung!
«Also, jetzt noch mal von vorne, Cristino.» Victor hatte die Stirn gerunzelt, die Sache kam ihm alles in allem sehr bizarr vor. «Ihr hattet also die ganze Zeit das Gefühl, Stimmen in diesem Haus zu hören?»
«Ja… nein… nicht wirkliche Stimmen», flüsterte Cristino. «Es war eher so, dass ich merkte, dass das Haus mir etwas sagen will!»
Ein kurzer Blick zwischen Victor und seinem Vater. Aha, sagte er. Sie hatten schließlich beide Erfahrung mit überspannten Frauen.
«Und dann hattet Ihr das Gefühl, den Weg, den Ihr gelaufen seid, bereits zu kennen, ja?», fragte Victor weiter.
«Ja!» wimmerte Cristino. «Die Treppe, und das Schachbrettmuster auf dem Boden, und der heilige Christophorus – ich habe sie gesehen, bevor ich sie gesehen habe! In meinem Kopf habe ich sie gesehen!»
Wieder dieser Blick zwischen den beiden Degrelhos. «Barouneto, Euer Unfall…», begann Archimède vorsichtig. «Ihr habt einen schweren Schock erlitten…»
«Was wollt Ihr damit sagen?», schrie Cristino. «Dass ich verrückt bin? Und was ist mit dem Bild von Agnes Degrelho? Es ist das Mädchen aus meinen Träumen. Genauso sah sie aus – mit diesem Muttermal und dem Medaillon!» Sie riss ihr Medaillon aus 474
dem Ausschnitt und streckte es dem Baroun d’Astain entgegen.
«Da, lest die Rückseite – Sie beschütze dich, Agnes, Sonne unseres Lebens!»
Hinter ihnen wimmerte eine Stimme auf. Es war die Barouno Degrelho. Sie hatte eine Hand vor den Mund gepresst. Ihre Augen waren geweitet. Auch Archimède Degrelho war blass geworden. Er nahm das Medaillon in die Hand, drehte es um. «Woher habt Ihr das?», fragte er.
«Gekauft. Auf dem Markt. Vor ein paar Wochen. Und seitdem habe ich diese Träume! Von Agnes, und von den Toten! Hunderten von Toten!» Sie begann zu heulen. «Es ist Agnes!», schluchzte sie.
«Ihr Geist ist in das Medaillon gefahren und hat von mir Besitz ergriffen, wie die alte Frau es gesagt hat!»
«Ich finde, Cristino, du solltest jetzt mit diesem überspannten Blödsinn aufhören!», sagte der Cavalié de Castelblanc unwirsch.
«Was sollen denn die Leute von dir denken! Ich schlage vor, wir gehen jetzt nach Hause, damit du dich ausruhen kannst.»
«Schon?», rief Catarino entsetzt.
«Ist es denn wirklich das Medaillon Eurer Nichte?», fragte Fabiou neugierig.
«Es sieht zumindest genau so aus», meinte Archimède Degrelho kopfschüttelnd. «Und die Inschrift…»
«Wie kann es sein, dass Agnes’ Medaillon auf dem Markt verkauft worden ist?», fragte Victor verständnislos. Der Baroun d’Astain warf einen raschen Blick in Richtung seiner Frau, die zur Salzsäule erstarrt neben dem Diwan stand und mechanisch ihre Arme rieb. «Deine Mutter hat es nicht ertragen, das Medaillon in ihrer Nähe zu haben, da Agnes es am Tag ihres Todes trug. Also schenkte ich es einer Bettlerin. Vermutlich hat sie es verkauft.»
«Sagt, was ist eigentlich mit den Töchtern Eures Bruders geschehen?», fragte Fabiou. «Sie sind doch dem Überfall damals entkommen, nicht wahr?»
Die Degrelho schrie auf. Es war ein Schrei schrill wie der Schrei einer Wildgans und ebenso animalisch, und die Gäste drehten sich erschrocken zu ihr um. Kreidebleich stolperte die Barouno rück475
wärts, dann stieß sie einen zweiten Schrei aus, drehte sich um und rannte aus dem Raum.
Der Baroun d’Astain wich dem Blick seiner Gäste aus. «Ihr müsst meine Frau entschuldigen», murmelte er. «Der Tod der Kinder damals ist ihr unglaublich nahe gegangen. Sie macht sich bis heute Vorwürfe, in jener Nacht nicht zu Hause gewesen zu sein, um die Mädchen zu beschützen.»
«In jener Nacht?», wiederholte Fabiou fragend.
Degrelho seufzte. Er sah nicht so aus, als ob er gerne über dieses Thema redete. Cristino wischte sich schniefend die Augen und verschmierte Puder und Rouge in ihrem Gesicht.
«Es war meine Schuld», sagte Degrelho.
«Unsinn», murmelte sein Sohn.
«Unterbrich mich nicht! Es war meine Schuld. Ich hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmt. Ich hätte die Mädchen niemals allein lassen dürfen.» Der Baroun d’Astain schüttelte resigniert den Kopf.
«Wieso? Was ist denn mit
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