Die Kinder des Ketzers
des Vogels auf dem Wappen begonnen und verfolgte sie seitdem auf Schritt und Tritt.
Das seltsame Gefühl, all dies schon einmal erlebt zu haben. Selbst hier, in diesem Raum, umsorgt von der Kammerzofe, ließ
es nicht nach. Es war, als hielten die Wände Zwiesprache mit ihr, als flüsterten Truhen, Schränke, Tische und Stühle beständig, willkommen, Cristino, wir haben dich bereits erwartet. Sie versuchte, die Stimmen zu übertönen, indem sie eine Melodie vor sich hinsummte. Irgendetwas, eine Ballmusik, die an zarte Tänzerinnen in himmelblauen Spitzenkleidern erinnerte. Sie versuchte an etwas anderes zu denken. An Arnac de Couvencour zum Beispiel, dieses Ungeheuer, das keine Ahnung hatte, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hatte. In der Hölle sollte er braten, dieser Mistkerl, der sie einfach schutzlos im Wald stehen ließ! Als ob sie etwas dafür konnte, dass Mergoult derart außer Fassung geraten war! Das Ganze war ein Missverständnis und nichts weiter, und Arnac tat so, als habe sie es mit Bedacht getan!
Mistkerl! Um Loís, einen Diener, machte er sich Gedanken, aber sie selbst behandelte er wie… wie… ach, keine Ahnung, wie!
Loís.
Er hätte sterben können.
Sie schüttelte heftig den Kopf, was die Dienerin als ein Zeichen ansah, mit dem Frisieren aufzuhören, und fuhr fort, besagte Melodie vor sich hinzusummen. Die Zofe griff nach dem Schminkpinsel und begann, ihr weißes Puder auf das Gesicht aufzutragen. Cristino blinzelte etwas, als Puder in ihre Augen staubte. Blöder Couvencour. Ich rede kein Wort mehr mit ihm, dann wird er sehen, was er davon hat!
Schließlich war das Puder auf dem Gesicht verteilt, das Rouge aufgetragen und Cristinos Gesicht somit wieder in einem Zustand, 470
der eines Festes würdig war. Die Zofe holte das Kleid. Cristino stand auf. Der Raum kam ihr seltsam vor. Verzerrt. Wie eines jener Altarbilder aus den vergangenen Jahrhunderten, auf dem die Häuser kleiner als die Menschen sind. Die Stimmen der Wände waren lauter geworden, dröhnten in ihrem Kopf, sie verspürte den Wunsch, sich die Hände über beide Ohren zu pressen. Lauter summte sie. Die Zofe warf ihr erstaunte Blicke zu.
Sie schlüpfte in das Kleid. Schweratmend stand sie, während die Zofe die Haken verschloss und die Spitze drapierte. Ihre Hände zitterten. Sie musste hier weg, heraus aus diesem seltsamen Raum, zurück zu den anderen! Blödes Gewitter! Blöder Couvencour! Alles blöde, aber wirklich!
«So, nun seid Ihr wieder fein», meinte die Zofe, strahlend über ihr eigenes Werk. «Ein hübsches Mädchen seid Ihr, alle Achtung.»
Cristino, die Dienstboten bei vergleichbaren Komplimenten sonst mit einem gnädigen Lächeln zu bedenken pflegte, starrte nur stumm vor sich hin. Ihre Ohren schmerzten von den Stimmen der Wände.
«Ein nettes Liedchen, das Ihr da singt», sagte die Zofe. «Seltsam, gerade dieses.»
Cristino hob verwirrt den Kopf. «Wieso?», fragte sie benommen.
«Ach, deshalb.» Die Zofe griff nach einem Perlmuttkästchen auf der Frisierkommode und öffnete den Deckel.
Sie glitt aus den Tiefen des Kästchens heraus, eine Tänzerin, zierlich, elegant, gekleidet in ein himmelblaues Spitzenkleid, und die Melodie, Cristinos Melodie, wehte in hellen Glockenklängen durch den Raum, während die Tänzerin sich sanft in ihrem Rhythmus drehte. «Ein Spielzeug», sagte die Zofe lächelnd. «Es hat einer der jungen Barounetos gehört, glaube ich.»
Cristino sagte nichts. Ihr Mund war staubtrocken. Ohne die Dienerin eines weiteren Blickes zu würdigen, stürzte sie aus dem Raum.
Sie wusste selbst nicht genau, wohin sie eigentlich lief. Wände zu beiden Seiten, flankiert von Dienern, die Kerzen entzündeten, gesichtslose, statuenhafte Gestalten. Sie lief, ihre Schuhe klapperten auf dem Steinboden. Eine Tür, geh hindurch, Cristino, dahinter kommt die Treppe, diese weite, geschwungene Treppe, die in 471
den Saal mit dem Schachbrettmuster auf dem Fußboden hinunter führt, sie riss die Tür auf, prallte zurück, als sie die Treppe sah, nein, das gibt es nicht, das kann nicht wahr sein, denn dort war er, der Boden mit den zweifarbigen Marmorplatten, schwarz und weiß, weiß und schwarz, belegt im Muster eines Schachbretts. Sie stolperte die Treppe hinunter, nach links, Cristino, was ist, wovor hast du Angst, du weißt doch, was mit dir geschieht, du weißt doch, wer dich führt, richte dein Augenmerk nach rechts, Cristino, denn dort wirst du gleich ein wunderbares Fresko an der Wand
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