Die Kinder des Ketzers
Auch die Tatsache, dass er momentan nicht die geringste Idee hatte, wie er weiter vorgehen wollte, dämpfte seinen Enthusiasmus nicht sonderlich. Er hatte schließlich schon so oft scheinbar in einer Sackgasse gesteckt, und schließlich hatte er doch allein dadurch, dass er Augen und Ohren offen hielt, neue Erkenntnisse auf dem Weg zur Wahrheit gewonnen. Deshalb zerbrach er sich diesmal auch gar nicht den Kopf darüber, wie er weitermachen sollte, sondern beschloss, die Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen. Und während sie auf ihn zukamen, konnte er die Zeit ja für ein paar Nachforschungen in eigener Sache nutzen.
Das Abendessen als die Mahlzeit, bei der die ganze Familie zusammentraf, schien Fabiou der geeignete Zeitpunkt zu sein, dem Geheimnis von Onkel Philomenus’ Obligation auf den Grund zu gehen. Als die Diener an jenem 27. Mai gerade das Rindsfilet in Rotweinsauce servierten, warf Fabiou daher einen fröhlichen Blick in die gefräßige Runde und fragte: «Onkel Philomenus, was war das eigentlich für eine Verpflichtung gegenüber diesem Senher Beauchamps, die Ihr 1546 von meinem Vater übernommen habt?»
Hätte er erklärt, er wolle am nächsten Morgen in einen Barfüßerorden eintreten und im Büßergewand nach Jerusalem pilgern, er hätte wohl schwerlich mehr Aufmerksamkeit erregen können. Mit einem Schlag glich die Stimmung am Tisch einem Eiskeller. Onkel Philomenus fiel das Messer aus der Hand und klatschte in die Rotweinsauce, während sein Gesicht eine äußerst ungesunde, da blaurote Farbe annahm, wie man sie bisweilen bei unprofessionell Gehenkten sah. Demgegenüber bot der Cavalié einen starken Farbkontrast, er befleißigte sich in diesem Moment einer nun wirklich äußerst vornehmen Blässe. Neben ihm schnappte die Dame 530
Castelblanc nach Luft, als stecke ihr die gesamte Fleischeinlage der Suppe in der Kehle fest, und sogar Oma Felicitas sah auf einmal ausgesprochen kränkelnd aus. Allein Tante Eusebia lächelte unberührt und begann, ihr Rind zu zerteilen. «Was… was für eine Verpflichtung denn?», japste Onkel Philomenus. «Ich weiß von keiner Verpflichtung!»
Für eine Verpflichtung, von der keiner etwas weiß, hocken aber verdammt viele betretene Gesichter an diesem Tisch, dachte Fabiou. Laut sagte er: «Mèstre Crestin, der Viguié, hat mich gestern angesprochen, er habe in den Unterlagen des toten Notars ein Schreiben von Euch gefunden. Es ging dabei um eine Verpflichtung gegenüber einem verstorbenen Senher Beauchamps, der wohl ein Klient meines Vaters gewesen ist, beziehungsweise gegenüber einer Person, die etwas mit diesem Beauchamps zu tun gehabt hat, seine Frau oder sein Kind vielleicht. Und diese Verpflichtung sei nach dem Tod von Vater auf Euch übergegangen.»
Onkel Philomenus’ Gesichtsfarbe wurde immer alarmierender.
«Es geht dich überhaupt nichts an, worum es da ging!», brüllte er.
«Nicht das geringste!»
Ach herrje, war wohl ein Wespennest! «War er Protestant, Senher Beauchamps?», fuhr Fabiou unverschämt fort. «Weil Ihr von seinen Verfehlungen schreibt und von der…»
«Seuche», hatte Fabiou sagen wollen, aber er kam nicht dazu. Philomenus Breix hatte sich, seinem Leibesumfang zum Trotz, über den Tisch geworfen, Fabiou am Kragen gepackt und ihn hochgerissen. Philomenus war stark, und das und Fabious schmächtige Statur waren eine ungünstige Kombination und hatten zur Folge, dass Fabious Zehen jetzt gute drei Zoll über dem Boden schwebten.
«Du hältst jetzt den Mund, du kleines Miststück, hast du verstanden?», keuchte Philomenus. Sein Atem roch nach Wein und Rinderbrühe. Fabiou japste nach Luft.
«Lass ihn los!», schrie Frederi. Er stand jetzt. Er war bleicher als die Tischdecke.
«Hast du das verstanden?», brüllte Onkel Philomenus und schüttelte Fabiou, dessen Gesicht mittlerweile ebenfalls blau angelaufen war.
«Du lässt sofort Cristous Sohn los!», brüllte Frederi. 531
Fabiou klatschte mit dem Oberkörper in sein Rindsfilet mit Rotweinsauce. Philomenus war herumgewirbelt, stand jetzt Frederi gegenüber, der aussah, als würde er jeden Moment nach seinem Tranchiermesser greifen und es seinem Schwager in den Leib rennen.
«Cristou!», schrie Onkel Philomenus. Dann lachte er, laut und schallend. «Cristou, Cristou, Cristou, immer Cristou!», brüllte er.
«In diesem Haus dreht sich immer alles nur um Cristou!»
«Ja, so ist das eben, Philomenus», keuchte Frederi. Ein seltsames, leicht irres Grinsen lag in seinem Gesicht.
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