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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Not heraus. Es gibt Menschen in dieser Stadt, für die stehlen oder nicht stehlen eine Frage von Leben und Tod ist, Kinder. Euer Vater hat versucht, diesen Menschen zu helfen, indem er sie vor Gericht verteidigte. Oftmals auch erfolgreich, auch in unserem Parlament sitzen ja nicht nur Granitstatuen, sondern ab und zu auch ein paar Menschen, die seinen Argumenten durchaus zugänglich waren. Aber denjenigen im Parlament, die die harte Linie vertraten, war er natürlich ein Dorn im Auge.»
    «So wie Maynier?», fragte Fabiou. La dureté, si elle avait un nom.
    Tante Beatrix’ Augen flackerten. Für einen Moment lag ein Ausdruck darinnen, den Fabiou noch nie im Blick eines Menschen gesehen hatte. «Ja. So wie Maynier», entgegnete sie.
    «Ist es wahr, dass er auch Protestanten verteidigt hat?», fragte Cristino ungläubig.
    «Natürlich ist es wahr», sagte Tante Beatrix. «Warum, stört dich das?»
    «Nun – das sind schließlich Ketzer!»
    «Mein liebes Kind», sagte Beatrix kühl, «ich bin nun wirklich eine strenggläubige Tochter der katholischen Kirche, aber die protestantische Religion abzulehnen und Menschen, die diesem Glauben anhängen, grausam zu verfolgen und zu töten, ist meines Erachtens wirklich zweierlei. Unser Glaube, der katholische Glaube, ist die Religion von der Liebe, der Verzeihung, der Gnade gegenüber jedem Menschen, und gerade dem Menschen, der einem Irrtum aufsitzt und eine Verfehlung begangen hat. Das ist es, was 545
    Jesus gepredigt hat, und das ist meine Überzeugung. Und ich hoffe, dass dies bei allem, was inzwischen geschehen ist, auch immer noch Frederis Überzeugung ist!»
    «Frederi!» Catarino spuckte diesen Namen geradezu aus.
    «Du magst ihn nicht sonderlich.» Tante Beatrix zog die Augenbrauen hoch. Das war eine Angewohnheit von ihr, die Fabiou schon bei ihrem Besuch in der Carriero de Jouque aufgefallen war. Es verlieh ihrem Gesicht einen Ausdruck konzentrierter Skepsis.
    «Er ist… ein Schwächling!», fauchte Catarino. «Nie setzt er sich durch, weder gegenüber Mutter noch gegenüber Onkel Philomenus oder sonst irgendwem! Immer nörgelt er an einem herum, aber wenn es darum geht, Mut zu beweisen, dann kneift er! Ihm traue ich das durchaus zu, das, was Tante Eusebia gesagt hat, das…
    andere!»
    Zu Fabious grenzenlosem Erstaunen wies Beatrix seine Schwester auch jetzt nicht zurecht. «Was hat Tante Eusebia denn noch gesagt?», fragte sie stattdessen. Die Kinder wichen ihrem Blick aus. Catarino schossen erneut die Tränen in die Augen. «Sie hat Vater und Frederi als… als Perverse bezeichnet», stieß sie hervor.
    Tante Beatrix verdrehte die Augen. «Eusebia, die dumme Gans!
    Natürlich, musste sie mal wieder mit ihrer alten Geschichte von dem Gewitter hausieren gehen!»
    «Dann – ist es nicht wahr?» Catarino sah Tante Beatrix geradezu flehentlich an.
    «Wahr?» Beatrix sah nachdenklich in Richtung Sonnenuntergang. «Wenn du mich fragst, ob Frederi Cristou geliebt hat – ja, das hat er sicherlich. Er hat ihn abgöttisch geliebt. Wirklich. Wenn man Frederi angeboten hätte, an Cristous Stelle zu sterben, er hätte es ohne mit der Wimper zu zucken getan. Ich denke, es gibt nur einen Menschen auf dieser Welt, den er ebenso liebt, wie er Cristou geliebt hat, und das ist eure Mutter. Eine Liebe, die umso selbstloser war, als er ursprünglich nicht auf ihre Erfüllung hoffen konnte, denn eure Mutter hatte vom ersten Moment an nur Augen für Cristou. Frederi hat nie einen Versuch gemacht, sie für sich zu gewinnen. Ich denke, es erschien ihm nur logisch und richtig, dass die zwei Menschen, die er am meisten liebte, zusammengehörten.»
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    «Du meinst, er hat Mutter schon geliebt, als sie und Vater noch gar nicht verheiratet waren?», fragte Fabiou erstaunt.
    «Ja. Natürlich. Sie haben deine Mutter ja gleichzeitig kennengelernt.»
    «Wie das?»
    «Na, über Pierre natürlich.» Sie sah die drei erstaunt an. «Das wisst ihr nicht? Sie waren mit Pierre zusammen auf der Schule, Frederi und Cristou.»
    «Die Klosterschule?», fragte Catarino in Erinnerung an Tante Eusebias Worte.
    «Ja, genau. St. Trophimus, in Arle.»
    «War das dieselbe, die auch Hector Degrelho besucht hat?», fragte Fabiou.
    «Ja. Allerdings», antwortete Tante Beatrix erstaunt.
    «Ach so, daher kannten sie sich alle», meinte Fabiou.
    «Ja. Daher kannten sie sich.» Tante Beatrix betrachtete Fabiou forschend. «Später haben sie dann in Ais studiert – Frederi

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