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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Cristino. «Es ist Agnes’ Grab.»
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    «Komisch, dass sie hier begraben sind», murmelte Fabiou.
    «Wieso?»
    «Nun, es muss ganz schön aufwendig gewesen sein, die Leichen von Santo Anno dis Aupilho hierher zu transportieren.»
    «Ach. Fabiou hat mal wieder ein Rätsel entdeckt!», spottete Catarino.
    Fabiou reagierte nicht. Er war näher an den großen Grabstein herangetreten und sah mit gerunzelter Stirn auf die Inschrift, die in den Stein gemeiselt war.
    Il est ton devoir d’accomplir bien ton role –
    mais le choisir appartient à un autre.
    Epiktet.
    «Es ist deine Aufgabe, deine Rolle gut zu erfüllen, aber sie auzuwählen steht einem anderen zu», übersetzte Fabiou. «Guter Spruch.» Er nickte anerkennend. Catarino verdrehte die Augen
    Cristino kniete vor dem Grab, das den Namen Agnes Joanna Degrelho trug. «Wer hat dich getötet, Agnes?», flüsterte sie. «Und warum?»
    «Glaubst du, sie antwortet dir?», stöhnte Catarino.
    «Schön wär’s, wenn sie antworten täten, die Toten, täte viele Rätsel lösen, was?», sagte hinter ihnen eine schnarrende Stimme. Die Geschwister drehten sich um.
    Hinter ihnen stand ein Mann, gekleidet in ein zerschlissenes Wams und eine fleckige Hose, die von der gleichen graubraunen Farbe wie seine Hände und sein zerfurchtes Gesicht waren. Er ging leicht gebückt, den Kopf größtenteils unter einem alten Schlapphut verborgen. «Jousé mein Name», schnarrte er. «Bin der Totengräber hier. Hab’ die alle unter die Erde gebracht. War ‘ne Heidenarbeit, kann ich Euch sagen, ‘45, wo’s vor Leichen nur so gewimmelt hat. Wir ham Tag und Nacht gearbeitet, die Kumpels und ich.»
    Cristino hatte bei seiner Vorstellung einen Satz rückwärts gemacht, dass sie beinahe über die Grabsteine gefallen wäre. Auch Catarino war zurückgewichen, wenn auch wohl weniger aus Entsetzen über den Beruf ihres Gegenübers als aus Angst, er könne ihr Kleid beschmutzen.
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    «Warum hat es so viele Tote gegeben, 1545?», fragte Fabiou. «In Ais gab es doch keine Waldenser, oder?»
    «Na, aber die Seuchen und so.» Der Alte kratzte sich am Kopf. Catarino machte noch einen Schritt rückwärts. Flöhe hatte er offensichtlich auch zur Genüge. «Zuhauf sind die Leute dran gestorben. Die ham sie mitgebracht, die Flüchtlinge aus den Dörfern. Und am Anfang ham wir sie ja alle noch reingelassen in die Stadt. Also, die Katholischen zumindest. Vor allem die Alten sind gestorben, und die Kinder. Waren viele Kinder unter den Flüchtlingen, wo die Eltern getötet worden sind. Da hinten, da haben wir eine große Grube gebuddelt und sie alle reingeworfen.» Er wies auf das äußerste Ende des Friedhofs. Cristino bekreuzigte sich entsetzt.
    «Aber ich sag’s Euch – Perverse gibt’s!» Der Alte schüttelte fassungslos den Kopf. «Da gab’s doch echt welche, die haben die Toten wieder ausgebuddelt. Mein Kumpel, Jaume, der meint, die hätten sie für, na ja, komische Sachen verwendet, aber ich glaub ja eigentlich eher, die Juden waren’s. Die brauchen Christenfleisch für ihren Hexensabbat. Hab’s einmal mit eigenen Augen gesehen, zwei Männer waren’s, und haben Leichen aus dem Grab geholt, Kinderleichen auch noch, und sind weg damit. Ganz bestimmt waren das die Juden!»
    Cristino sah aus, als ob sie jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. «Verschwinde, Alter, du erschreckst ja meine Schwester!», schimpfte Catarino, die auch etwas grün im Gesicht war.
    «Na, ich sag’s ja bloß», murmelte der Alte und schlurfte weiter.
    «So ein Verrückter!», schimpfte Catarino. «Juden, die die Leichen von Christenkindern aus dem Grab holen! Igitt!» Dann hielt sie inne. «Da», flüsterte sie.
    Eine Nonne im schwarzen Habit bewegte sich durch die Reihen der Gräber. Dorthin, wo die Familie Auban ihre letzte Ruhestätte hatte.
    «Tante Beatrix», murmelte Fabiou. Catarino rannte bereits. Die Nonne war gerade vor den Gräbern niedergekniet, als Catarino über den Kiesweg gefegt kam. «Tante Beatrix!», schrie sie, nicht gerade in friedhöflicher Andacht, was ihr die strafenden Blicke einiger alten Weiber eintrug. Beatrix hob den Kopf. «Catari542
    no.» Sie stand auf. Catarino flog ihr um den Hals. «Endlich haben wir Euch gefunden!», rief sie.
    Beatrix sah an ihr vorbei auf Fabiou und Cristino, die ebenfalls herbeigelaufen kamen. «Seid ihr alleine hier?», fragte sie erstaunt. Cristino und Fabiou nickten. «Wissen eure Eltern davon?»
    Catarino ließ sie los. «Natürlich nicht», sagte sie. «Die

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