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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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errichten, stark genug, die Konstruktion in die Höhe zu heben. Mit menschlicher oder tierischer Körperkraft konnte da Vinci keine ausreichende Beschleunigung erreichen. Durch Einsatz einer Feder vergleichbar den Federn in Taschenuhren ist es nun gelungen, nach Erhöhung der Federspannung und Vergrößerung der Übersetzung ein Modell mit einem Drehradius von zehn Zoll in die Luft zu erheben. Aufgrund der geringen Seitenstabilität konnten bisher nur kurze Flugzeiten bis zu 25 Sekunden erzielt werden. Vor dem Bau größerer Modelle muss ein entsprechendes Federwerk entwickelt werden.»
    Bibliothek hin oder her, Fabiou konnte es sich nicht verkneifen, leise durch die Zähne zu pfeifen. Onkel Pierre schien dem Ge644
    heimnis der Flugmaschine ganz schön nahe gekommen zu sein. Er dachte nach. War es am Ende das, was Ingelfinger gesucht hatte? Ein paar fliegende Konstruktionen aus Holz und Pergament im Spielzeugformat. Klingt nicht gerade nach Geheimsache. Aber was, wenn die weiterführenden Experimente, von denen Onkel Pierre schreibt, erfolgreich waren? Was, wenn Onkel Pierre in der Tat einen Apparat entwickelt hatte, mit dem sich ein Mensch über längere Zeit in der Luft halten konnte? Fabiou kannte sich nicht sonderlich aus in Strategie und Kriegsführung, aber er konnte sich durchaus vorstellen, dass ein Flugapparat für eine Armee einen immensen militärischen Vorteil darstellte. War es das, worum es ging?
    Mit nachdenklich gerunzelter Stirn schob Fabiou das Buch ins Regal zurück.
    Er hielt inne. Etwas blockierte.
    Fabiou zog das Buch wieder nach draußen und blickte in den schmalen Zwischenraum, in dem es gestanden hatte. Hinten im Eck entdeckte er den Grund für sein Problem. Ein kleines flaches Büchlein mit braunem, fleckigem Ledereinband. Es erinnerte an das, das er stets in seiner Brusttasche trug. Fabiou zog es aus dem Regal und schlug es auf.
    Es war handschriftlich beschrieben, auf Französisch, mit raschen, hastigen Buchstaben, der Kohlestift zum Teil verwischt, Wörter und ganze Sätze durchgestrichen und Verbesserungen zwischen die Zeilen geflickt. So als habe der Autor nur sehr wenig Zeit gehabt. Die Seiten waren zum Teil geknickt, fleckig und gewellt, an den Ecken aufgefasert, ein Buch, das man achtlos in Taschen gestopft und auf schmutzige Unterlagen geworfen hatte.
    Le véritable report sur la PERSÉCUTION et ANNIHILATION
    des Vaudois au Lubéron par les troupes piemontais sur l’ordre du Baron Maynier d’Oppède en Avril 1545, escrit par Pierre Martin Avingou, Docteur de l’Université d’Aix.
    Dieux soit mon témoin.
    Der wahrhaftige Bericht über die Verfolgung und Vernichtung der Waldenser im Luberoun durch die Truppen aus dem Piemont unter Befehl des Baroun Maynier d’Oppède im April 1545, geschrieben von Pierre Martin Avingou, Doktor der Universität von Ais. Gott sei mein Zeuge. 645
    Fabiou runzelte die Stirn. Auch wenn dieses Buch sicher in keinem Bezug zu Ingelfinger stand, hatte er das deutliche Gefühl, etwas ziemlich Aufschlussreiches in den Händen zu halten. Ein Blick nach rechts, einer nach links, und er ließ das Büchlein in seiner Brusttasche verschwinden.
    Sein Onkel. Pierre Martin Avingou. Himmel, langsam faszinierte ihn dieser Mensch!
    Er suchte weiter. Diesmal würde er nicht beim ersten vermeintlichen Treffer seine Suche als beendet ansehen. Er würde sämtliche Bücher mit schwarzem Einband in diesen beiden Regalen anschauen, und wenn es zwei Stunden dauerte. Es dauerte zwei Stunden. Er durchsuchte das gesamte Regal zur Linken und ein Großteil des Regals zur Rechten. In der untersten Reihe des zweiten Regals fand er es schließlich. Ein lateinisches Buch. Erasmus von Rotterdam, DE LIBERO ARBITRIO DIATRIBE
    SIVE COLLATIO – Gespräche oder Unterredung über den freien Willen. Gelangweilt – er rechnete nicht mehr mit einem Erfolg
    – schlug er es auf und blätterte durch die Seiten. Ein einzelnes Blatt Papier segelte heraus, zweimal gefaltet, gepresst von den Jahren. Fabiou bückte sich, hob es vom Boden auf und faltete es auseinander.
    Diesmal war der Text provenzalisch. Was seltsam war. Kein Mensch schreibt auf provenzalisch. Es sah so eigenartig aus, dass Fabiou jedes Wort zweimal lesen musste, bis er es verstand.
    «An alle,
    ich habe alles versucht. Keine Möglichkeit, eine gerichtliche Verfügung durchzusetzen, die sie aufhält. Es ist beschlossene Sache, der König selbst soll es abgesegnet haben. Ein bewaffneter Kampf scheidet daher aus, keiner der

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