Die Kinder des Ketzers
unterbreiten?» Er runzelte die Stirn. «He, junger Mann – was ist mit Eurem Hals passiert?», fragte er mit einem kritischen Blick auf den Verband unter Fabious Kinn.
Über Fabious Gesicht huschte ein Hauch von Rot. «Ist nicht so schlimm. Ich komme aus einem ganz anderen Grund. Um genau zu sein, habe ich eine», Fabiou schluckte, «eine Bitte an Euch.»
«Eine Bitte?» Das Gesicht des Viguiés war misstrauisch. «Was für eine Bitte?»
«Habt Ihr Zugang zu den Prozessakten der Inquisition?», fragte Fabiou.
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Crestin starrte ihn an. «Sehe ich aus wie der Papst?», fragte er unbehaglich.
«Ich… ich meine die weltlichen Akten… die müssten doch in die Zuständigkeit des Parlaments fallen, oder?», fragte Fabiou.
«Was soll diese Frage, verdammt noch mal?», fragte Crestin heiser.
Fabiou nestelte an seinem Verband herum. Er sah hundeelend aus. «Sagt Ihr es auch nicht weiter?», fragte er unsicher.
«Nein. Himmel, Junge, raus mit der Sprache!»
«Ich… ich habe vor kurzem erfahren, dass mein Vater Protestant war und 1545 von der Inquisition verhaftet wurde. Ein paar Tage später ist er im Gefängnis gestorben. Angeblich durch Selbstmord. Was ich mich bloß frage – alle sagen, mein Vater sei ein so frommer Mensch gewesen! Wie kann es dann sein, dass er sich umgebracht hat?»
Crestin ließ seinen Kopf in die Hände sinken. «Mein Gott, Junge…»
«Ich… ich möchte seine Prozessakte sehen. Ich weiß, im Normalfall geht das nicht, aber vielleicht könnt Ihr ja… Ich muss wissen, ob es wirklich so war oder ob er ermordet worden ist! Ich muss das einfach wissen!»
Crestin rang nach Luft. «Mein Junge, ich finde das keine sehr gute Idee. An Eurer Stelle würde ich mich lieber mit der Selbstmordtheorie zufriedengeben. Wahrscheinlich genug ist sie.»
«Aber mein Vater war ein gläubiger Mensch, er hätte nie…»
«Baroun de Bèufort, hinter den Toren der Inquisition gibt es keinen Glauben und keine Überzeugung, dessen könnt Ihr gewiss sein!»
Fabious Augen füllten sich mit Tränen. «Bitte. Ich muss es wissen. Bitte.»
Crestin seufzte. «Wenn ich behaupte, dass ich die Unterlagen für die Lösung der Mordfälle brauche – nun, vielleicht rücken sie sie heraus…»
«Danke», murmelte Fabiou und wandte sich zum Gehen.
«Baroun de Bèufort?»
«Hm?» Er war stehen geblieben.
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Der Viguié seufzte erneut, tief und resigniert. «Da ist etwas, was ich Euch sagen muss, Baroun. Vascarvié, der Sonderbeauftragte des Parlaments – er hat mich heute von einem Umstand in Kenntnis gesetzt, den er im Rahmen der Mordfälle für durchaus nicht unwesentlich hält», sagte er.
«Und der wäre?», fragte Fabiou.
«Docteur Vascarvié hat in Paris studiert und ist auch heute noch gelegentlich in der Hauptstadt zugange.» Crestins Stimme hatte einen leicht ironischen Unterton. «Dort machte er eines Tages die Bekanntschaft eines Baron de Trévigny.»
«Baron? Trévigny ist doch ein Graf», meinte Fabiou erstaunt.
«Baroun de Bèufort, so leid mir das tut, Euch das sagen zu müssen, aber in ganz Frankreich gibt es offensichtlich keine Grafschaft Trévigny. Und was den Baron de Trévigny betrifft – nun, laut Vascarvié war er grob geschätzt fünfzehn Jahre älter als der junge Mann, mit dem Ihr Euch des Öfteren umgebt.»
***
In den nächsten Tagen machte Frederi sich extrem rar. Er erschien nicht mehr zu den Mahlzeiten, zog sich völlig von der Familie zurück und verbrachte einen Großteil seiner Zeit drüben in Sant Sauvaire, wo er in der Kirchenbank kniete und betete. Es war vermutlich für den Familienfrieden das Beste, was er tun konnte, denn Catarino hatte bereits lautstark verkündet, dass sie sich im Leben nicht mehr mit ihm an einen Tisch setzen würde. Auch die Dame Castelblanc mied die Familienzusammenkünfte und entschuldigte sich mit wiederholten Anfällen von Unwohlsein, und wenn sie zu einer Mahlzeit auftauchte, aß sie stumm ihren Teller leer und vermied es, einem der anderen, insbesondere einem ihrer Kinder ins Gesicht zu sehen. Onkel Philomenus und Tante Eusebia nahmen die Angelegenheit deutlich gelassener. Um genau zu sein, nahmen sie sie gar nicht. Bereits am Morgen nach dem großen Streit taten beide so, als sei nichts, aber auch wirklich gar nichts geschehen. Was Frederi betraf, so brachte sein Schwager überhaupt kein Verständnis für ihn auf. «Jetzt jammert er wieder seinem Cristou nach und zündet brav Kerzchen an wie ein altes Weib, diese gott724
verdammte
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