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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Jùli war still geworden, lange schon. Fabiou presste ihn an sich, während er sein Pferd durch die Mittagshitze trieb, und spürte, wie Frederi Jùlis Blut seine Kleider durchtränkte, und spür824
    te, wie der Körper des Jungen mehr und mehr in seinen Armen erschlaffte.
    Ein paar Bauern wiesen ihnen den Weg, und vor Pertus erreichten sie wieder die Straße. Von da an blieb ihr Weg unbehelligt; die Straße war jetzt so belebt, dass ein neuerlicher Hinterhalt extrem unwahrscheinlich war. Die Leute wichen ihnen aus, sobald sie das blutüberströmte Kind in Fabious Armen wahrnahmen. Viele bekreuzigten sich. Heilige Maria Mutter Gottes, sagte der Wächter an der Porto Nosto Damo, der arme kleine Junge! Ist er vom Pferd gestürzt? Fabiou hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf. Als sie in die Carriero de Jouque einbogen, erblickten sie Bruder Antonius, der die Straße heraufkam. Er blieb wie angewurzelt stehen. Sie sprengten in den Hof. Das Pferd stand noch nicht ganz, als Fabiou schon mitsamt Frederi Jùli aus dem Sattel gesprungen war.
    «Vater!», kreischte er. Der Pförtner hatte sie kommen hören und riss bereits die Tür auf. «Jesus und Maria!», schrie er. «Cavalié!
    Cavalié, kommt schnell!»
    Frederi stürmte die Treppe hinunter, stürzte auf den Hof hinaus, und dort stand er wie angewurzelt und starrte auf Loís’ verschwollenes, blutunterlaufenes Gesicht, und auf Fabiou mit seiner zerfetzten Kleidung, und schließlich auf Frederi Jùli, der in Fabious Armen hing, leblos, aschgrau, gebadet in Blut. Dann, mit zitternden Händen, tastete er nach seinem Sohn, umfasste den zerbrechlichen kleinen Körper mit seinen Armen und trug ihn die Stufen hinauf. Fabiou blieb stehen. Es war, als hatten ihn mit der Verantwortung für Frederi Jùli auch seine Lebensgeister verlassen. Er fühlte sich unfähig, auch nur noch einen weiteren Schritt zu tun. «Fabiou!» Bruder Antonius. «Loís! Mein Gott, was ist passiert?»
    Was soll schon passiert sein? Ich habe herausgefunden, dass mein Vater und mein Onkel zum engsten Kreis der Bruderschaft gehörten, ich bin ein paar Mal vom Pferd gefallen, habe mich mit den Mergoults geprügelt, in zweiundsiebzig Stunden knapp zweihundert Meilen zurückgelegt und dafür ganze fünf Stunden geschlafen, Loís ist zum Tode verurteilt worden, Arnac de Couvencour hat sich für ihn geopfert und ist jetzt in den Händen der Inquisition, und der Genevois hat Frederi Jùli eine Kugel in die Schulter gejagt. Sonst ist überhaupt nichts passiert.
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    «Fabiou!» Bruder Antonius hatte den Arm um ihn gelegt. «Fabiou, bist du verletzt?» Er schaffte es, den Kopf zu schütteln. «Himmel, Fabiou, ich bring dich nach oben, du musst dich hinlegen, sofort!»
    Oben herrschte das Chaos. Frederi hatte seinen Sohn auf den Diwan im Salon gelegt, und da lag Frederi Jùli nun, die Lippen so weiß wie das Helle in seinen Augen. Ringsum wurden Kreuze geschlagen und Gebete gemurmelt. Maria Anno tippte fragend mit dem Finger gegen Frederi Jùlis Arm, sah dann mit offenem Mund auf den Blutstropfen auf ihrer Fingerspitze und sagte: «Fedei aua!»
    Theodosius an ihrer Seite grinste blöd, während er wieder und wieder fragte: «Was ist, stirbt er, stirbt er?» Der Cavalié kniete mit bebenden Händen neben dem Lager seines Sohnes. «Einen Arzt», krächzte er, «wir brauchen einen Arzt.»
    «Beata, lauf und hol Docteur Grattou!», schrie die Dame Castelblanc hysterisch.
    «Grattou ist kein Wundarzt!», meinte Philomenus. «Wir müssen den Modès holen.»
    «Diesen Quacksalber? Der mehr Soldaten in der Garnison von Ais umgebracht hat als anno ‘35 der Kaiser?», protestierte Oma Felicitas.
    «Wir holen Docteur Grattou!», kreischte Madaleno. Catarino blickte verstört von einem zum anderen.
    Docteur Grattou kam zehn Minuten später zur Tür hereingekeucht, von einer lamentierenden Beata hinter sich hergezogen. Er warf einen Blick in die Runde; das leblose Kind auf dem Diwan, der Cavalié an seiner Seite, der mechanisch die schlaffen Hände streichelte, Loís, der zwischen seinem Vater und Cristino an der Wand auf dem Boden saß und ebenfalls mehr tot als lebendig wirkte, Fabiou, der halb ohnmächtig in einem Sessel hing; und die ganze jammernde Verwandtschaft im Kreis. Er beugte sich zu Frederi Jùli herunter, überprüfte die Atmung, fühlte den Puls, murmelte etwas Unverständliches und meinte dann, das wäre nicht sein Bereich, man müsse den Wundarzt holen. Er winkte seinen Gehilfen herbei, gab ihm

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