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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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sie näher kamen, rief er ihnen etwas entgegen, das wir aufgrund der großen Entfernung nicht verstehen konnten. Augenblicklich stürzten Oppèdes Söldner sich auf ihn und rissen ihn vom Pferd, während die übrigen Soldaten bereits den Fliehenden nachsetzten. Wir warteten darauf, dass Maynier eingriff, ihnen befahl, ihre Hände von Labarre zu nehmen, doch zu unserem namenlosen Entsetzen wendete der Präsident wortlos sein Pferd und ritt weiter. Einen Moment lang konnten wir Labarre noch ausmachen, wie er von den Söldnern auf die Stadt zugeschleift wurde, dann entschwand er unseren Blicken, 850
    und wir mussten uns zur Flucht wenden, da die ersten Söldner uns erspähten und in unsere Richtung kamen.»
    Was mochte er gedacht haben, als er so mutterseelenallein auf der Straße wartete, im Angesicht der näherstürmenden Armee, als der Staub ihm entgegenwallte, den ihre Füße und die Hufe ihrer Pferde aufwirbelten, und ihr Kampfgeschrei von einem fernen Rauschen zu einem alles übertönenden Brüllen wurde? Hatte er Angst gehabt, jetzt doch, mit den Geschichten im Ohr, die die Flüchtlinge erzählt hatten, hatte er sich gedacht, dass es bessere Arten zu sterben gab, als sich von diesem Haufen blutrünstiger Ungeheuer in Stücke reißen zu lassen? Was hatte er gesagt, dort auf seinem Pferd, als sie näher kamen, als sie nahe genug waren, dass er Maynier erkennen konnte, Jean Maynier, Parlamentspräsident von Ais, der mit seinem Vater als junger Mann auf die Jagd gegangen war und Jeu de Paume gespielt hatte? Wahrscheinlich irgendetwas von keinen Schritt weiter, bei meiner Ehre als Ritter, dieses Dorf steht unter meinem Schutz! Doch in diese Worte bricht bereits der Klang von aufeinandertreffenden Waffen, als zwanzig Söldner zugleich sich auf Raymoun de Labarre stürzen. Er reißt seinen Degen heraus, eine lächerliche Waffe gegen die schweren Eineinhalbhänder der Landsknechte, ein, zwei Hiebe mag er abgewehrt haben, dann segelt der Degen durch die Luft und landet im Gestrüpp, und er wird vom Pferd gezerrt und vor Maynier geschleift. Und Maynier starrt ihn an und begreift, dass das Schicksal ihm in der Tat nicht nur die Waldenser, sondern auch die Bruderschaft in die Hände gespielt hat, dass er jetzt und hier die Gelegenheit hat, sich der ganzen lästigen Bande unauffällig und diskret zu entledigen. Er braucht nichts zu sagen, keinen Befehl geben, der ihm später als Mord ausgelegt werden könnte. Er braucht sich nur abzuwenden und weiterzureiten und Labarre seinem Schicksal zu überlassen. Der König der Schwerter hat bereits gesiegt.
    «In unserer Mitte befand sich auch Pater Jacque Bergotz, der Priester von La Coste, gebürtig aus einem nahe liegenden kleinen Dorf namens St. Francès. Er wies uns einen Pfad in Richtung Bonnieux auf halber Höhe der Combe d’Aigue-Brun. Tief unter uns auf dem Hauptweg flohen die Menschen die Combe hinauf, verfolgt von den rasenden Söldnern. Einige flüchteten sich in die Seitentä851
    ler, versteckten sich in Felsnischen. Wen immer die Verfolger einholten oder aufspürten, der wurde gnadenlos abgeschlachtet. Aus der Combe drangen Schreie in unsere Höhe wie aus den Pforten der Hölle.
    In Bonnieux war man bereits gewarnt, die Stadttore waren geschlossen. Ein paar der fliehenden Menschen hatten hinter den Stadtmauern Zuflucht gefunden. Anderen war es gelungen, entlang dem Lauf des Aigue-Brun bis zum Fort de Buoux vorzudringen. Der Baron de Buoux selbst hielt es mit Maynier und seinen Verbündeten, doch ein Angehöriger des Baron gewährte ihnen Einlass, wie wir später erfuhren. Sie waren löbliche Ausnahmen, wie uns bald klarwerden musste. Die meisten katholischen Orte verschlossen die Tore vor den Flüchtenden aus Angst vor der Rache des Heeres, falls sie ihnen Aufnahme gewährten. Bauern wiesen flüchtende Weiber und Kinder ab, die vor ihren Hütten um Hilfe bettelten, oder lockten sie in vermeintlich sichere Verstecke, um sie später den Soldaten auszuliefen, als Lösegeld für ihre eigene Sicherheit. In der Sintflut der Gewalt, die über den Lubéron niederging, gab es kein Mitleid mehr und keine Nächstenliebe. Als wir Bonnieux erreichten, wurden wir gewahr, dass die Soldaten, die die flüchtenden Menschen die Combe hinauf gejagt hatten, nicht nur ein versprengter Rest des Heeres waren. Der Großteil der Armee hatte nun jene Richtung eingeschlagen und war auf dem Weg in die Ebene von Roussillon, die weite Fläche zwischen Lubéron und Vaucluse. Richtung Cabrières

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