Die Kinder des Ketzers
so.
«Wir verließen Cabrières im Morgengrauen und umritten den Lubéron in südlicher Richtung. Es war bereits gegen Abend, als wir Aix erreichten. Wir gingen auf direktem Weg zum Parlament und berichteten den Conseillers von den schrecklichen Ereignissen, deren Zeuge wir geworden waren. Wir beschworen sie, das Heer sofort zurückzurufen. Wohl ernteten wir Bestürzung und Entsetzen auf unseren Bericht; dennoch, keiner machte Anstalten, Maynier aufzuhalten. Es hieß, was geschehe, geschehe auf Befehl des Königs und niemand könne sich dem widersetzen, und überhaupt sei es unmöglich, ein Söldnerheer in seinem unheiligen Treiben aufzuhalten. Nach zwei ebenso verzweifelten wie hoffnungslosen Tagen verließen wir Aix erneut und ritten zurück gen Cabrières, in der 854
unsinnigen Hoffnung, noch irgendetwas retten zu können, oder, wenn uns das schon nicht möglich sein sollte, so doch wenigstens Zeugnis ablegen zu können im Namen derer, die nicht mehr dazu in der Lage waren.»
Er starrte auf die Schmutzflecken und die krakelige Schrift auf dem Papier und fragte sich, wann Pierre seinen Bericht geschrieben hatte. In Cabriero, während Hector Degrelho noch mit Eustache Marron herumdiskutierte? Wartend im Vorzimmer eines Parlaments, dessen Conseillers der Meinung waren, die Tagesgeschäfte hätten Vorrang vor irgendwelchen Räuberpistolen über die Waldenser?
«Wir erreichten Cabrières neuerlich am Nachmittag des 21. Aprils. Die Stadt lag in Trümmern. Schwere Geschütze hatten die Stadttore zerschossen, die Mauern gesprengt. In den Straßen türmten sich Leichen. Von Flüchtlingen, die dem Massaker entkommen waren, hörten wir, wie Marron und seine Getreuen Mayniers Truppe über einen Tag lang erbitterten Widerstand geleistet hatten. Schließlich, als klar war, dass die Stadt sich nicht mehr lange würde halten können, hatten die Angreifer, geführt von Maynier persönlich, den Belagerten ein Kapitulationsangebot unterbreitet: würden sie sich jetzt ergeben, so würden nur die Rebellen um Eustache Marron getötet, das Leben der Übrigen würde man schonen. Die Eingeschlossenen akzeptierten und ergaben sich. Man forderte die Bewaffneten auf, ihre Waffen niederzulegen und vor die Stadt zu kommen, was sie taten. Widerstandslos ließen sie sich Fesseln anlegen und sich zu einem Platz vor den Mauern führen. Dort gab Maynier den Befehl, die Gefangenen niederzustechen, was augenblicklich getan wurde. Der Sieur de Pourrières, Schwiegersohn von Maynier d’Oppède, führte selbst den ersten Schlag aus, indem er einem alten Mann den Kopf spaltete. Nur Eustache Marron und seine engsten Gefährten ließ man am Leben, um sie nach Avignon zu bringen. Man sagt, es sei geplant, sie öffentlich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Ich denke Tag und Nacht an sie und bete zu Gott, sich ihrer zu erbarmen. Die, in deren Hand sie sich befinden, werden jedenfalls kein Erbarmen kennen.»
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Er war ins Präsens gefallen. Wann waren diese Zeilen geschrieben worden? Dort, in den Trümmern von Cabriero? In den Tagen, die folgten, auf dem Weg über verbrannte Erde?
«Danach wandte man sich der Stadt zu. Häuser wurden angezündet, Menschen auf offener Straße niedergemetzelt. Die übrigen Männer von Cabrières schloss man im Kellergeschoss des Schlosses ein. Als dort das Schicksal derer bekannt wurde, die man vor die Stadt gebracht hatte, brach in jenen Kellern Angst aus, die Menschen schrien um Hilfe und schlugen gegen die Türen. Maynier sagte, dies sei ein Aufruhr und Ausbruchsversuch und gab Anweisungen, die Eingeschlossenen zu töten, was seine Soldaten sofort taten.
Die Frauen und Kinder der Stadt hatten sich in die Kirche geflüchtet. Dort wurden sie von den Soldaten aufgespürt. Hier nun erwies sich endgültig, was diesem Heer, das angeblich für den wahren Glauben kämpfte, dieser Glaube bedeutete. Hier, zwischen den Kirchenbänken, im Angesicht des Hochaltars und der heiligen Mutter Gottes, wurden die Frauen geschändet und getötet, zum Teil kleine Mädchen von acht, neun Jahren unter ihnen. Man zeigte uns jene Kirche, in der der Boden rot war vor Blut und die Leichen zwischen Bänken und Stühlen lagen. Man zeigte uns eine Schwangere, die man vom Kirchturm gestoßen hatte. Man zeigte uns eine andere Schwangere, die ein Soldat vergewaltigt und dann aufgeschlitzt und das Kind aus ihrem Leib gerissen hatte, eine Tat, die so grausam war, dass seine eigenen Kumpanen sich gegen ihn wandten, ihm das Kind abrangen, bevor er
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