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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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(1524-1585), Les Derniers Vers
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    «Die Wahrheit», sagte Fabiou Kermanach de Bèufort, der Poet und Investigator.
    Cristino sah auf von Louise Degrelhos reglosem Körper auf dem Diwan und wandte ihren Blick dem jungen Mann zu, der in der Mitte des Raumes und durch diese zwei harmlosen Worte plötzlich auch in der Mitte der Aufmerksamkeit stand und mit funkelnden, rot umringten Augen die Anwesenden betrachtete. Innerhalb eines Augenblicks war jedes Getuschel verstummt. Der Ausdruck auf Frederis Gesicht wechselte von unbehaglich – aufgrund der Schmerzen in seinem Oberschenkel – zu hell entsetzt. Madaleno de Castelblanc, die eben noch schniefend vor Erleichterung die Hand ihres Ehegatten getätschelt hatte, wurde hoch rot im Gesicht und schnappte empört nach Luft. Sébastien und der Buous, die Couvencours Speisekammer geplündert hatten, hörten auf mit Kauen und blickten verwundert auf Crestin, der langsam durch den überfüllten Raum schritt und in Ermangelung einer anderen Sitzgelegenheit auf dem Fensterbrett Platz nahm. Laballefraou setzte sich neben ihn und massierte unbehaglich seine Hände. Allein Maria Anno nahm keine Notiz von Fabiou. Sie starrte mit großen Augen auf das verbundene Bein ihres Vaters und sagte: «Aua!»
    Couvencours Salon platzte inzwischen aus allen Nähten. Niemand hörte auf Bruder Antonius, der den Raum zum Lazarett erkoren hatte und alle beschwor, doch zu gehen und den Verletzten etwas Ruhe zu gönnen. Und auch die Bemühungen der Dame Castelblancs, ihre Töchter ins Bett zu schicken, blieben ohne Erfolg. Und so hatten sich mittlerweile alle Akteure der vergangenen Nacht zwischen Couvencours ausgebleichten Wandteppichen versammelt.
    «Die Wahrheit», wiederholte Fabiou versonnen. «Ich habe lange gebraucht, um die Wahrheit herauszufinden.»
    Madaleno de Castelblanc kauerte sich auf ihrem Sessel zusammen wie eine Raubkatze, die zum Sprung ansetzt. «Frederi, ich erwarte von dir, dass du ihm den Mund verbietest!», keuchte sie. «Er hat kein Recht dazu, das zu tun.»

«Ich bin der Baroun de Bèufort. Ich habe jedes Recht der Welt, über diese Dinge zu sprechen», sagte Fabiou ruhig. 994
    «Wenn dir die Ehre unserer Familie schon egal ist, Fabiou, dann denk an die unschuldigen Gemüter deiner Schwestern!», zischte Madaleno giftig. «Es schickt sich nicht, zwei zarten Mädchen derartig abscheuliche Dinge zu erzählen! Und dasselbe gilt für Frederi Jùli! Frederi, du musst das verhindern, hörst du nicht?»
    Wäre er auf dem direkten Weg zu seiner eigenen Hinrichtung gewesen, Fabious Stiefvater hätte nicht verstörter dreinblicken können, und seine Worte klangen so unartikuliert, als habe ihn eine Wespe in die Zunge gestochen, als er sagte: «Frederi, du solltest wieder ins Bett gehen.»
    «Aber es ist doch schon Morgen!» Frederi Jùli, der strahlend und leichenweiß auf dem Samtbezug eines Sessels lümmelte und die Beine baumeln ließ, fuhr empört auf. Er war bester Laune. Schließlich war er jetzt fast so etwas wie ein Held, nachdem es sich herumgesprochen hatte, dass er Fabiou und Loís das Leben gerettet hatte.
    «Frederi Jùli sollte ebenfalls hier bleiben, finde ich», sagte Fabiou.
    «Es ist an der Zeit, dass alle Betroffenen die Wahrheit erfahren.»
    Die Hände des Cavaliés krallten sich in die Stuhllehne. «In Ordnung, Fabiou», sagte er kaum hörbar.
    «Aber… Frederi…», begann die Dame Castelblanc fassungslos.
    «Es hat keinen Sinn, Madaleno», flüsterte Frederi. «Du kannst die Wahrheit nicht ewig verheimlichen. Fabiou hat recht. Es wird Zeit, dass dieses ganze Lügengebäude aus der Welt verschwindet.»
    Madaleno antwortete nicht. Einen Moment lang starrte sie ihren Mann aus weit aufgerissenen Augen an. Dann sprang sie auf. «Ich muss mir das nicht anhören, diese… diese Verleumdungen!», rief sie.«Madaleno…»,begannFrederihilflos.
    «Ich muss mir das nicht anhören! Ich werde mir das nicht anhören!», schrie Madaleno, und mit heftigen Schritten, die ihr Reisekleid rauschen und flattern ließen, lief sie aus dem Raum. Couvencour seufzte tief. «Also, Fabiou», sagte er. «Bitte.»
    Er holte tief Luft. Von allen Seiten waren gespannte Blicke auf ihn gerichtet. Allein Sébastien kaute an einem Stück Rauchfleisch herum. Frederi gab endgültig auf und sackte in seinen Sessel zurück. «Nichts ist, wie es scheint, und niemand ist, wer er vorgibt 995
    zu sein», sagte Fabiou. «Das hat Hannes, der Gaukler, einmal zu mir gesagt. Ich habe eine ganze Weile

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