Die Kinder des Ketzers
bekreuzigte sich. «Antonius, kannst du denn nichts tun?», fragte Fabiou verzweifelt.
Antonius hob die Schultern. «Ich kenne mich mit so etwas nicht aus», sagte er hilflos. «Gott, wenn nur Mutter Consolatoria noch am Leben wäre!»
Draußen verschwand der Karren mit Beatrix’ Leichnam zwischen den Pappeln, die das Ufer des kleinen Flusses säumten. Und an dem Fenster, durch das fahl das Licht eines neuen Morgens fiel, drehte Cristino sich um. «Victor?», sagte sie.
Ihr Vetter, der mit geweiteten Augen auf Louise gestarrt hatte, hob den Kopf. «J…ja?», sagte er abwesend.
Cristino schritt durch die Halle, vorbei an den Männern, die sie erstaunt ansahen, vorbei an Fabiou und Catarino, vorbei an ihrem Stiefvater. «Victor, ich brauche eine Schere und saubere Tücher!
Schnell! Darf ich mal?» Sie griff nach Couvencours Messer und schlitzte Louises Wams auf.
Die Wunde befand sich zwischen der sechsten und der siebten Rippe im rechten Lungenflügel, wie Cristino fachmännisch registrierte. Einen Zoll tiefer, und der Stich hätte zusätzlich die Leber getroffen. Sie lieh sich von Mèstre Ingelfinger ein leidlich sauberes Tuch aus, das sie auf die Wunde in Louises Brust presste, aus der blubbernd Blut austrat. Louise stöhnte leise. Sonst gab keiner im Raum einen Laut von sich.
Victor kam zurück. Wortlos reichte er Cristino ein weißes Laken und eine Schere. Sie schnippelte einen Streifen ab, stopfte ihn mit der Scherenspitze tief in die Wunde. Rouland de Couvencour beobachtete sie in verzweifelter Hoffnung.
«Cristino, das nützt doch nichts!», seufzte Antonius. «Die Blutung in der Lunge kannst du auf diese Weise nicht zum Stillstand bringen.»
«Nein, natürlich nicht», sagte Cristino ruhig. «Aber die Blutung nach außen sehr wohl, und das werde ich tun.»
In diesem Moment geschah zweierlei. Das Erste war, dass Louise die Augen verdrehte und endgültig das Bewusstsein verlor. Das Zweite war, dass Fabiou den wüstesten Fluch ausstieß, den er 987
kannte, und mit großen, entschlossenen Schritten auf die Flügeltür zustürmte.
«Fabiou! Wo willst du hin?», schrie der Cavalié.
Fabiou fuhr herum. «Hinter Vascarvié her. Ich habe da noch ein weiteres Verbrechen zur Anzeige zu bringen!»
«Das würde ich an Eurer Stelle lassen!», sagte Corbeille, der mit verschränkten Armen an der Tür lehnte.
Ingelfinger wandte sich ihm zu. «Ah, der Procureur du Roi en Affaires Exeptionelles –mal im Ernst, was ist das eigentlich für ein Titel? Gibt’s den überhaupt?»
Corbeille grinste herablassend. «Du glaubst doch nicht etwa, dass mir so ein mickriger Provinzankläger das Gegenteil beweisen könnte.»
«Sehr intelligent von dir, gerade diesen Vascarvié hierher zu schleifen – was, wenn er die Couvencours oder den Gaukler erwischt hätte?», fragte Ingelfinger.
«Ich bin untröstlich, aber ich hatte keine Ahnung, dass sich all diese Personen ausgerechnet hier befinden. Außerdem hatte ich keine Wahl – ich habe nun mal nicht deine fantastischen Kontakte zu den örtlichen Geheimbünden. Aber nun zu Euch, Monsieur le Baron », Corbeille wandte sich Fabiou zu, «überlegt Euch, ob Ihr wirklich sterben wollt, bevor Ihr zu dieser Tür hinausgeht.»
«Aber es geht verdammt noch mal um die Wahrheit!», brüllte Fabiou. «Es kann doch nicht sein, dass diese Leute ungestraft ausgehen! Das kann doch einfach nicht sein!»
«Degrelhos Verbrechen sind ans Licht gekommen, das ist mehr, als wir hoffen konnten», erklärte Corbeille. «Die Morde werden aufhören, und mit etwas Glück wird Maynier es sogar für klüger halten, Euch am Leben zu lassen, mein Junge. Sofern Ihr vernünftig seid und Euch still verhaltet!»
«Einen Augenblick, worum geht es hier eigentlich?», fragte Mergoult mit gerunzelter Stirn. «Was ist das für ein Verbrechen, von dem Ihr da sprecht, Baroun, und wieso solltet Ihr es Vascarvié nicht anzeigen dürfen?»
Fabiou drehte sich zu ihm um und öffnete den Mund, doch Frederi fiel ihm ins Wort. «Nicht jetzt und nicht hier, Fabiou. Wir müssen 988
nach Couvencour, sofort! Wer weiß, was Archimède jetzt vorhat!
Wir müssen deine Mutter und deine Geschwister beschützen!»
Fabiou starrte ihn an. Dann nickte er.
«Was ist mit Louise?», fragte Frederi. «Denkst du, sie wird den Ritt nach Couvencour durchstehen?»
Cristino begriff erstaunt, dass er sie gefragt hatte. «Ich… ich weiß nicht», antwortete sie. Sie sah zu Rouland de Couvencour hinüber, der sich nervös durch die
Weitere Kostenlose Bücher