Die Kinder des Ketzers
«Eine Menge Leute kamen in Frage.»
«Auf jeden Fall ahnte Maynier, wer Philippe und seiner Frau zur Flucht verholfen hatte, und deshalb brachte Philippes Verschwinden ihn nicht nur endgültig gegen alle Andersgläubigen auf, son1005
dern auch gegen die Bruderschaft», stellte Fabiou fest. «Aber noch war er sich nicht über eure Identität im Klaren.»
Couvencour nickte langsam. «Anfang ‘45, nachdem wir ein gutes halbes Jahr kein Wort mehr von ihm gehört hatten, tauchte Archimède dann wieder bei uns auf», murmelte er. «Er war die Liebenswürdigkeit in Person, und Hector war überglücklich, sein Bruderherz wieder an seiner Seite zu wissen.»
«Sein Bruderherz kehrte nur zu ihm zurück, um ihn an die Franzosen zu verraten, vermutlich in der Hoffnung, dass die die Mitglieder der Bruderschaft und damit natürlich auch Carfadrael hinrichten lassen würden», meinte Fabiou trocken. «Eigentlich ein schlauer Plan. Hätte er Hector durch einen gedungenen Mörder töten lassen, wäre der Verdacht naheliegenderweise auf ihn als Hectors Erben gefallen. Sorgte er aber für die Vernichtung der gesamten Bruderschaft, würde kein Mensch Hectors Tod für das Ergebnis eines Erbschaftsstreits halten, und vor allem war keine Untersuchung der Geschichte durch das Parlament zu erwarten. Dumm nur für Archimède, dass der gute Corbeille, wie Carfadraels eifriger Verfolger von Seiten der Franzosen hieß, inzwischen selbst eine gewisse Schwäche für die Bruderschaft und ihre tollkühnen Aktionen entwickelt hatte. Seine Berichte spielten die Gefahr, die von der Bruderschaft ausging, wohl derart herunter, dass man beschloss, Euch zu verwarnen und unter Überwachung zu stellen, statt Euch gleich einen Kopf kürzer zu machen. Und damit konnte Archimède sich natürlich nicht zufrieden geben. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als Euch erneut zu verraten, und diesmal an Leute, die keine Gnade kennen würden – und zwar an Maynier und seine Getreuen, Eure Feinde im hiesigen Adel. Und wie das Schicksal es wollte, kamen ihm die Zeichen der Zeit zu Hilfe. Der Arrêt de Mérindol , um präzise zu sein.»
«Im Grunde waren wir nicht einmal ganz unschuldig an diesem Arrêt », sagte Couvencour. «Cristou hatte Verbindungen zum Parlament; mehrfach erfuhr er im Voraus von geplanten Unternehmungen gegen die von Merindou und mehrfach warnten wir sie rechtzeitig und ermöglichten ihnen so die Flucht in die Berge. Bis Maynier und die anderen die Nase voll hatten und jenen Arrêt de Mérindol erließen . So richtig ernst genommen hat es damals 1006
keiner. Bis zum April 1545.» Er holte tief Luft. «Es war an einem der Tage nach Ostern, so am 8. oder 9. April, wenn ich mich richtig erinnere. Einer von Cristous Verbindungsleuten im Parlament, ein gewisser Sazo, ein entfernter Verwandter von Sazo de Goult, nahm ihn eines Abends beiseite und sagte, dass sich eine große Sache anbahne, im ganzen Land würden Truppen ausgehoben, und die Aufgebote der Edelleute würden zusammengerufen. Maynier würde in den nächsten Tagen nach Marsilho fahren, um sich die Unterstützung der dort stationierten königlichen Truppen zu sichern. Außerdem stünde man in Verhandlungen mit dem Vizelegaten in Avignoun. Als Cristou ihn fragte, was das alles zu bedeuten habe, meinte er, es gehe gegen die Waldenser. Maynier habe den Conseil privé des Königs bereits im Februar auf irgendwelchen obskuren Wegen zu einem Ermächtigungsschreiben bewegt, das die Umsetzung des Arrêt de Mérindol erlaube. Wir versammelten uns noch am gleichen Abend. Es war klar, wenn Maynier eine Armee dieser Größenordnung zusammenstellte, dann musste es um mehr gehen, als in Merindou ein paar Ketzer zu verhaften und ein paar Häuser niederzubrennen. Also was hatte er vor? Da der Name des Vizelegaten gefallen war, ahnten wir, dass sie neben Merindou gegen Cabriero du Comté ziehen würden. Cristou hatte bereits weitere Nachforschungen angestellt und einiges über die ‹Truppenaushebungen› herausgefunden, die so ein Kerl namens Vaujouine, Capitaine Vaujouine, leitete. Offenbar suchte er sich die übelsten Subjekte zusammen, die die Gegend zu bieten hatte. Maynier plante einen Vernichtungsfeldzug, so viel war klar.»
«Also versuchtet Ihr, den Arrêt zu verhindern, so wie Ihr immer böse Pläne vereitelt habt, nicht wahr?», fragte Fabiou. «Nur dass dieser Plan eine Dimension hatte, die Eure Möglichkeiten bei weitem übertraf.» Auf Couvencours fragenden Blick hin zog er das kleine,
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