Die Kinder des Ketzers
etwas geahnt, schlau wie sie war. Und Madaleno war natürlich ebenfalls eingeweiht.»
Er registrierte die entgeisterten Blicke seiner Stiefkinder und lä1003
chelte. «Oh ja, eure Mutter wusste über alles Bescheid. Sie war
… anders damals, sie liebte diese Dinge, das Geheimnisvolle, das Abenteuer…»
«Für das Parlament waren wir ein Phantom, etwas Ungreifbares, Unerklärliches», fuhr Couvencour fort. «Und die Franzosen… Paris war weit und bestand in unseren Augen aus unfähigen Hofschranzen, die nichts waren gegen uns, die unschlagbare Bruderschaft. Jesus, als wir zu ahnen begannen, dass uns die Agenten des französischen Königs auf den Fersen waren, waren wir auch noch stolz darauf, statt uns in irgendeiner Form Gedanken zu machen!»
«Und dann traft ihr irgendwann auf Trostett und Ingelfinger, nicht wahr?», meinte Fabiou.
«Ich weiß nicht, wie Trostett uns gefunden hat», meinte Couvencour. «Spätestens damals hätte uns klar werden sollen, dass es Leute gab, denen wir nicht gewachsen waren. Er stand eines Tages vor uns und erklärte, die Feinde der Franzosen seien die Freunde des Reiches und dass wir daher auf seine Unterstützung zählen könnten. Wir waren etwas erstaunt, wir hatten uns bisher nie in dem Sinn als Feinde der Franzosen verstanden. Insbesondere waren wir dem Deutschen Reich in keiner Weise freundlicher gesinnt; Hector besaß ein grundlegendes Misstrauen gegen jede Form von Großmacht. Aber ausgerechnet Hector war es dann, der auf Trostetts Annäherungsversuch einging. Ich glaube, er fand das Ganze in erster Linie amüsant – dass die katholische Partei Deutschlands einen Geheimbund unterstützen wollte, der einen beträchtlichen Teil seiner Kraft darauf verwendete, Protestanten vor der Inquisition zu retten. Und umso lustiger, als wenig später dieser Ingelfinger bei uns auftauchte, ebenso beunruhigend aus dem Nichts, und uns die Unterstützung der protestantischen Partei Deutschlands antrug. Hector kam sich unglaublich schlau vor, indem er sich sowohl von Trostett als auch von Ingelfinger Geld geben ließ, das er dann nach Gutdünken für seine Pläne verwendete. Es war naiv, natürlich.»
«Und die Antonius-Jünger?», fragte Sébastien jetzt.
«Ja, die Antonius-Jünger», sagte Couvencour nickend. «Sie machten etwa zur gleichen Zeit wie wir von sich reden. Und vom ersten Moment an war Hector begeistert von ihnen. In seinen Augen standen wir auf derselben Seite und kämpften denselben Kampf. 1004
Als Hector damals im Sommer ‘44 erfuhr, dass Joan dem Bossard in die Hände gefallen war, ließ er alles stehen und liegen und trommelte uns zusammen, um zu seiner Rettung auszuziehen, Pierre zerrte er mitten aus einer Vorlesung heraus… Ich habe ihn nie stolzer erlebt als an diesem Tag, als er, Hector Degrelho, Joan lou Pastre das Leben rettete.
Der Joan war in einem furchtbaren Zustand, als wir ihn befreiten, und Beatrix ging davon aus, dass er sterben würde. Aber Hector weigerte sich, das zu akzeptieren. Er saß drei Tage und drei Nächte an Joans Lager und wachte über ihn, bis sich abzeichnete, dass er überleben würde. Später dann, als es Joan besser ging, verbrachten sie Stunden mit disputieren. Es war erstaunlich. Die gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen hätte größer nicht sein können – der eine ein gebildeter Adliger, Sohn eines reichen Baroun, der andere ein geflohener Leibeigener, der nicht einmal seinen Namen schreiben konnte. Aber irgendwie waren sie – seelenverwandt, anders kann ich es nicht ausdrücken. Für mich ist es das tragischste Detail dieser ganzen unglückseligen Geschichte, dass Joan für den Mord an Hector hingerichtet wurde.» Couvencour schwieg einen Moment, dann sagte er: «Das war wie gesagt 1544. Im selben Jahr starb Hectors Vater und vermachte Hector testamentarisch die Barounie, während Archimède mit Santo Anno dis Aupiho bedacht wurde. Von diesem Moment an zog Archimède sich von uns zurück. Hector dachte, es läge daran, dass Santo Anno so weit entfernt war und Archimède so viel zu tun hätte. Doch ich wusste, dass Archimède krankhaft neidisch auf seinen Bruder war und meinte, dass die Barounie eigentlich ihm zugestanden hätte. Ich warnte Hector, ihm nicht über den Weg zu trauen, aber Hector fand die Vorstellung, dass sein eigener Bruder ihm aus purer Habgier Schaden zufügen wollte, schlichtweg absurd. Und dann wurde Philippe verraten.»
«Von Archimède?», fragte Fabiou.
«Ich habe keine Ahnung», seufzte Couvencour.
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