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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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une studieuse damoyselle 1049
    Schritte und aufgeregte Rufe weckten sie aus einem Schlaf so schwer wie eine Decke aus Blei, und noch viel schwerer wog ihr Kopf, als sie ihn von der Lehne des Diwans heben wollte, auf die er letztendlich gesunken war. Sie stöhnte leise auf, ihr Nacken war ebenso steif wie ihre Glieder, und ihre Wirbel knackten schmerzhaft, als sie sich aufsetzte; sie fühlte sich, als sei sie siebzig Jahre alt.Ein Laufen und Hasten war ringsumher, erfüllte jeden Raum des alten Gemäuers mit einem hektischen, drängenden Gemurmel, wie ein Bienenstock kurz vor dem Schwärmen. Sie blickte zum Fenster; die Sonne war gesunken, draußen lag dunkelblau ein später Abendhimmel. Jemand hatte eine Fackel angezündet; ihr Licht warf einen unsteten Schein auf die Menschen, die Kisten und Beutel der Tür zu schleppten und die Treppe hinunterwuchteten. Sie sah zur Seite. Louise saß aufrecht auf dem Diwan, das Gesicht womöglich noch bleicher als am Morgen, und dies und die Atmosphäre der Unwirklichkeit, die alles umgab, nahm ihrer Gestalt jede Realität und jede Körperlichkeit, sie war ein Phantom in einer Geisterwelt.
    «Was geht hier vor?», fragte Cristino, und ihre Stimme klang so irreell, wie Louises Lippen weiß waren.
    Sie drehte sich ihr zu, langsam, da es sie Mühe kostete, doch die Mühe erreichte Cristinos Augen nicht, nur jene gespenstische Langsamkeit. «Es tut mir leid», sagte Louise Degrelho. «Ich werde fortgehen müssen.»
    Sie blinzelte und kämpfte gegen das Gefühl an, in einer Allegorie gefangen zu sein, in einem Traum, der ihr begreiflich machen sollte, dass Louise sterben würde. Vielleicht ahnte Louise, was sie dachte, denn sie zwang ihren Lippen ein schiefes Lächeln auf und sagte: «Keine Angst, ich meine es, wie ich es sage. Wir müssen fort, mein V… Rouland und ich. Mergoult ist fest entschlossen, uns zu vernichten, und er wird einen Weg finden, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen, auch wenn Maynier ihn nicht unterstützt. Wir müssen machen, dass wir hier wegkommen, bevor er mit einer Privatarmee vor der Tür steht.»
    «Du… du meinst, ihr flieht?», fragte sie ungläubig. 1050
    «Was sollen wir sonst machen?», fragte Louise mit einem traurigen Lächeln. «Wir sind zu wenige, um gegen Mergoult und die Seinen eine Chance zu haben. Und vielleicht können wir im Verborgenen ja auch mehr ausrichten, als uns bisher möglich war.»
    «Wo werdet ihr hingehen?», fragte Cristino leise. Louise schüttelte den Kopf. «Es ist besser für dich, wenn du es nicht weißt», sagte sie.
    Sie schluchzte. «Nimm mich mit. Bitte.»
    Wieder schüttelte Louise den Kopf, zögernd im ersten Moment, aber dann sehr bestimmt. «Nein, Cristino. Wir werden Geächtete sein, Gejagte! Das ist kein Leben für dich. Dir steht doch das ganze Leben noch offen! Du kannst einen ordentlichen Mann heiraten und sicher und friedlich leben. Du kannst – so vieles noch tun, wenn du es nur willst. Ganz abgesehen davon, dass du uns keine große Hilfe wärest – du kannst nicht mit Waffen umgehen, und auch sonst besitzt du nicht gerade die Fähigkeiten, die du für das, was wir vorhaben, brauchen würdest. Nein, Cristino, ich kann dich nicht mitnehmen.»
    «Ich will aber trotzdem mitkommen! Ich will dich nicht schon wieder verlieren, jetzt, wo ich dich gerade erst wiedergefunden habe!», schniefte Cristino.
    «Agnes», sagte Louise, und beide hielten sie inne und starrten einander an, denn es war das erste Mal, dass Louise sie so anredete, und dann lächelte Louise Degrelho und sagte: «Wir werden uns wiedersehen, Agnes, das schwöre ich dir. Egal was du tust, egal wo du bist, ich werde dich finden.»
    Sie fragte sich erstaunt, was Louise mit «finden», meinte, denn wo sollte sie schon sein außer in Castelblanc und bestenfalls noch in Ais, aber sie kam nicht mehr dazu, diese Frage zu stellen, denn hinter ihr stand Rouland de Couvencour und sagte zu Louise:
    «Wir müssen aufbrechen. Denkst du, du kannst die paar Schritte laufen?»
    «Mann, ich lebe noch», meinte Louise ärgerlich, und auf Roulands Arm gestützt zog sie sich auf die Füße. Cristino sah zu, und auf einmal begriff sie, dass das nicht länger Louise Degrelho war, die dort an Rouland de Couvencour geklammert nach draußen humpelte. Louise Degrelho existierte nicht mehr, genauso wenig 1051
    wie Agnes Degrelho. Sie konnten nicht einfach da weitermachen, wo sie vor dreizehn Jahren aufgehört hatten, so viel war inzwischen geschehen, und sie beide hatten

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