Die Kinder des Ketzers
Vermutung», sagte Crestin. «Der Arquié war ich.»
Hannes lachte nicht mehr.
«Du musst fliehen, Junge», murmelte Crestin und lief den Gang hinab. «Sie sind auf deiner Fährte.»
Hannes stand und massierte mit ungelenken Bewegungen seine Arme. Er war kreideweiß im Gesicht.
Einen Moment lang starrte Fabiou Catarino an, dann wandte er sich ab und ging auf die Tür zu.
Draußen an der Brüstung der Mauer, die dreihundert Jahre lang feindlichen Heeren und Horden von Raubgesindel getrotzt hatten, lehnte Frederi an einer der geneigten, verwitterten Zinnen und starrte hinaus auf die Welt aus Fels und niedrigen Kiefern und knorrigen Ölbäumen, die sich zu Füßen der Burg erstreckte, dem blauen Dunst entgegen, hinter dem das Meer lag, und die Ferne. Er rührte sich nicht, als Fabiou neben ihn trat.
1043
Fabiou atmete tief durch, während er sich neben seinen Stiefvater an die Mauer lehnte und den Geruch von altem, staubigem Stein einatmete, den Geruch der Burgen, den Geruch von Kälte und Kargheit und Unbequemlichkeit, den Geruch von Castelblanc. Über ihm kletterte eine strahlende Sommersonne einen blendenden Himmel empor, und er musste die Augen zusammenkneifen, als er nach Süden blickte.
«Ich liebe sie so sehr, Fabiou», murmelte Frederi. Fabiou wusste, dass er von Madaleno sprach. «Bitte, nimm es ihr nicht übel. Es war alles so schwer für sie… sie konnte nur damit leben, indem sie so tat, als ob all das nicht geschehen wäre.»
«Ich weiß. Und ich nehme ihr nichts übel», sagte Fabiou. «Wir sollten nach Castelblanc zurückkehren, das ist das Beste für sie. Das Beste für alle, schätze ich.»
Frederi starrte ihn an aus Augen, die uralt aussahen. «Mein Gott, Fabiou, du hast dich so verändert», murmelte er. «Du bist so… erwachsen geworden.»
Ich hatte ja auch keine andere Wahl, dachte Fabiou, aber er sprach diesen Gedanken nicht aus. Er hätte jetzt gehen können, zurück in den Salon, sich in seine Decke wickeln und versuchen zu schlafen und den Mantel des Vergessens über jenes letzte Detail der ganzen unglückseligen Geschichte breiten. Aber er ging nicht. Er konnte es nicht. Er war verdammt, wie es sein Onkel gewesen war, verdammt dazu, nach der Wahrheit zu suchen, koste es, was es wolle. Fabiou erlaubte sich, die Augen vor der blendenden Helligkeit des Himmels zu schließen, als er sagte: «Ihr habt meinen Vater getötet, nicht wahr?»
Als er die Augen wieder öffnete, war Frederi an der Wand zusammengesunken. «Fabiou», flüsterte er, während seine zitternde Hand sich nach oben tastete und auf einer ergrauenden Strähne seines Haars liegenblieb, «Fabiou, was hätte ich denn machen sollen?»
Ja, was hätte er machen sollen, der kleine Junge, der seinen Freund Cristou so liebte, dass er sich ein Bein ausgerissen hätte, hätte ihm das Cristous Liebe gesichert; der sich Lancelot nannte, nur um ein Gralsritter zu sein wie er; der ohne einen Augenblick zu zögern auf die Frau verzichtete, die er liebte, als er erkannte, 1044
dass auch Cristou sie begehrte; der ebenso wenig gezögert hätte, hätten sie ihm angeboten, an Cristous statt zu sterben; und der dann doch nur hilflos zusehen konnte, wie Cristou in den Mühlen der Inquisition verschwand.
«Ich habe ihn geliebt, Fabiou!», sagte Frederi, die Hand in sein Haar gekrallt, als ob er es sich vom Kopf reißen wollte. «Ich konnte doch nicht zulassen, dass er stirbt wie Pierre! Oh Gott, Fabiou, das hätte ich nicht ertragen!»
Menschen sind zu vielem bereit, wenn es um Liebe geht. Loís hatte sich aus Liebe zu Cristino ihrem durchgegangenen Pferd in den Weg geworfen. Bruder Antonius hatte gelogen aus Liebe zu Janot. Louise Degrelho war aus Liebe zu der kleinen Agnes alleine nach Santo Anno dis Aupiho geritten, um sich einer bis an die Zähne bewaffneten Bande von Söldnern entgegenzustellen.
«Ich habe versucht, ihn umzustimmen», sagte Frederi. «Ich habe ihm gesagt, dass es selbstsüchtig sei, an dieser Religion festzuhalten, dass er eine Familie habe, die ihn brauche, aber Cristou hat gesagt, es ist mein Glaube, er hat mir geholfen in den guten Tagen, jetzt kann ich ihn nicht beim ersten Anzeichen von Gefahr verraten. Er hat mich gefragt, ob ich meinen Glauben verraten würde, an seiner Stelle, und, Fabiou, ich wusste nicht einmal, was ich ihm darauf antwortet sollte! Ich wusste nur, dass ich ihn liebte und dass ich niemals ertragen könnte, dass sie ihm etwas antaten. Und Pierre… mein Gott, Pierre… Jesus, Fabiou, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher