Die Kinder des Ketzers
ich habe nichts, Arnac. Soll ich zurück nach Hause gehen und bei meinem Bruder zu Kreuze kriechen? Soll ich mein bisheriges Leben weiterführen, mich weiter mit Betrügereien über Wasser halten und darauf warten, dass Paul mir wieder einen Schlägertrupp auf den Leib schickt? Nein, Arnac. Ich will frei sein, ich will Abenteuer erleben, und ich will nebenbei endlich mal etwas Sinnvolles tun. Und das heißt, was immer ihr jetzt vorhabt, ich muss einfach dabei sein. Und ganz abgesehen davon – egal, ob du jetzt Arnac heißt, oder Louise, oder sonst wie, wir haben uns mal geschworen, dass wir Freunde sind, und einen Freund lässt man nicht im Stich, auch nicht oder gerade dann nicht, wenn er auf dem besten Weg ist, ein Gesetzloser zu werden.» Er grinste breit. Die Pferde zogen an, und die Karren rumpelten los. Die Reiter folgten ihnen. Cristino stand schweigend und sah zu, wie der Karren, auf dem Arnac lag, um die Biegung verschwand, ein letztes Lächeln von Arnac und ein vergnügtes Winken von Sébastien, und fort waren sie.
«Also», seufzte der Cavalié de Castelblanc, «wir sollten uns auch auf den Weg machen.» Und in plötzlichem Erstaunen fragte er:
«Wo ist eigentlich Catarino?»
***
Von fast allen unbemerkt war es am Morgen zu einer hässlichen Szene zwischen Madaleno de Castelblanc und ihrer Tochter Catarino gekommen, bei der beide Dinge sagten, die besser nicht gesagt worden wären, und die letztlich der Auslöser war für den endgültigen Bruch zwischen Catarino und ihren Eltern. Catarino machte ihrer Mutter bittere Vorwürfe, weil diese sie ein Leben lang belo1054
gen hatte, und noch mehr Vorwürfe machte sie ihr, weil sie Cristino hatte mit Archimède Degrelho gehen lassen. Nach Catarinos Meinung hätte ihre Mutter Cristinos wahre Identität zumindest erahnen müssen, und dass sie keine Ahnung von Archimède Degrelhos Rolle bei der Ermordung ihrer Familie gehabt hatte, erschien ihr noch viel unwahrscheinlicher. Madaleno hätte Catarino die Wahrheit sagen können. Dass sie, wann immer sie auch nur im Geringsten an die Ereignisse von 1545 dachte, sofort so heftige Kopfschmerzen bekam, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als jene Gedanken wieder weit von sich zu schieben. Dass dies zur Folge hatte, dass die Ereignisse jenes Jahres in ihrem Kopf so verschwommen und unzusammenhängend wie ein verworrener Albtraum waren. Und so wenig man sich in seinen Handlungen an Albträumen orientiert, so wenig war es Madaleno möglich, aus den Ereignissen von 1545 irgendwelche logischen Schlussfolgerungen zu ziehen und einen Zusammenhang zwischen der verworrenen Erinnerung an einen mordenden Archimède Degrelho und jenem netten Nachbarn Archimède Degrelho zu erkennen, der ihre Tochter in seiner Freundlichkeit auf seine Besitzungen einlud.
All das sagte Madaleno Catarino nicht, natürlich nicht, denn dann hätte sie sich dazu zwingen müssen, über all diese Dinge nachzudenken, und vor nichts auf der Welt hatte Madaleno mehr Angst. Stattdessen schimpfte sie auf Fabiou und «den Blödsinn, den er euch Mädchen in den Kopf gesetzt hat», erklärte, dass es an der Zeit sei, dass Catarino «diesen ganzen Quatsch» vergaß und sich wichtigeren Dingen zuwandte, wie zum Beispiel ihren Aussichten auf dem Heiratsmarkt. Und als sie schließlich meinte, sie würde Frederi umgehend darum ersuchen, nach einem Gatten für ihre Tochter Ausschau zu halten, möglichst einem Älteren, dem es gelingen würde, ein unvernünftiges junges Ding wie sie zu zügeln, da verließ Catarino mit einer letzten wütenden Bemerkung den Raum, und von dem Moment an hatte keiner der Familie sie mehr gesehen. Man stellte fest, dass ein Kleid im Gepäck der Kinderfrau fehlte, und Catarinos eigenes Kleid wurde schließlich im Stall gefunden, an der Stelle, wo die beiden verschwundenen Pferde von Philomenus Breix angebunden gewesen waren. Estève de Mergoult 1055
und der Bouliers hatten beobachtet, dass der Gaukler in Begleitung einer jungen Dienstmagd fortgeritten sei. Keiner von ihnen hatte darin etwas Auffälliges gesehen.
Cristino weinte etwas, als sie von Catarinos Verschwinden erfuhr, und Madaleno weinte noch mehr und schimpfte vor allem wie ein Rohrspatz über dieses undankbare, nichtsnutzige Geschöpf, das ihre Tochter war. Frederi dagegen schimpfte nicht über Catarino, er vermisste sie und betete für sie, aber nie verlor er auch nur ein böses Wort über sie. Dazu liebte er sie viel zu sehr. Sie unternahmen in der Folgezeit mehrere
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