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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Zügel kämpfte, die Gelegenheit war also günstig. Er hatte keine Lust, sich wieder einen Vortrag über Respektlosigkeit gegenüber Toten anzuhören. Mit zusammengepressten Lippen streckte er seine Hand aus. Der Körper fühlte sich seltsam an. Massiv. Mehr wie ein Gegenstand als wie der Mensch, der er noch vor kurzem gewesen war. Hastig tastete Fabiou mit beiden Händen den Rumpf ab. Er konnte nicht verhindern, dass eine Hand dabei in die Blutpfütze auf der Brust des Toten geriet. Ein ekelhaftes Gefühl, kalt und schleimig, als fasse er in einen Sumpf.
    Er hielt inne. Da war etwas in der Rocktasche. Er griff unter den Rock. Seine Finger fanden etwas, was sich wie eine Ledertasche anfühlte, und zogen es hervor. Ein kleines Päckchen, eingeschlagen in fleckiges Leder. Blut-aber auch gewöhnliche Schmutzflecken. Hastig schlug er das Leder auseinander. Ein paar Seiten knittriges Pergament. Kein Geld.
    Er seufzte und packte das Pergament wieder ein. «Er hat wirklich keine Geldbörse mehr», meinte er enttäuscht.
    «Vielleicht haben sie das Pferd ja stehen lassen, weil sie uns kommen gehört haben.» Frederi Jùli war von seinen Überlegungen sichtlich fasziniert.
    «Und warum haben sie es angebunden?» Fabiou steckte das Päckchen in seinen Gürtel und sprang vom Karren. Vielleicht barg das Pergament irgendeine Erklärung. Vielleicht sagte es zumindest aus, wer der Tote war.
    Vor ihm schrie die Barouno de Buous gellend auf.
    Roubert hatte endlich den Zügel befreit und das Pferd gewendet. Sie hatten bisher nur die rechte Seite des Tieres gesehen. Jetzt wandte es ihnen die linke zu.
    Etwas stand auf der linken Halsseite des Schimmels, ein Wort, geschrieben in fetten, rotschwarzen, glänzenden Buchstaben. 120
    Santonou
    «Jesus!», kreischte die Dame Castelblanc. «Gott! Maria! Jesus!»
    Frederi de Castelblanc stand wie vom Donner gerührt.
    «Der Himmel steh uns bei», sagte der Baroun de Buous tonlos.
    «Die Antonius-Jünger sind zurückgekehrt.»
    «Die Antonius-Jünger?», fragte Fabiou. «Wer ist das?»
    Keiner antwortete. Der einzige Laut kam von links, wo Klein Maria Anno mit beiden Armen rudernd auf Frederi zuwackelte.
    «Hoppefe!», rief sie strahlend. «Hoppefe!»
    ***
    Fabiou der Poet saß auf dem schmalen Holzstuhl mit der unfassbar hohen, verzierten Lehne und starrte auf den Senher d’Auban, der vor der schweren Eichenholztür auf und ab tigerte wie ein Raubtier im Käfig. Frederi zu seiner Linken hatte den Kopf zurückgelegt, in dem verzweifelten Bemühen, es sich auf diesen unmöglichen Stühlen bequem zu machen, die vielleicht schön aussehen mochten, ansonsten aber besser in eine Folterkammer der Inquisition als unter den Hintern friedlicher Menschen gepasst hätten, und machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.
    Ais war eine reiche Stadt. Sogar die Amtsstube, in der sie sich befanden, das Vorzimmer des Viguié Crestin, entbehrte nicht einer gewissen Eleganz mit der Vertäfelung aus dunklem Holz und den Butzenglasscheiben, die ein gleichmäßiges, ruhiges Licht in den kleinen Raum strömen ließen. Onkel Philomenus freilich schien von der Einrichtung der Amtsstube nicht sonderlich beeindruckt. Die Tür zumindest sah er an, als wünsche er sich eine Axt, sie zu Kleinholz zu verarbeiten.
    Ein Schreibgehilfe trat durch die Tür in ihrem Rücken ein und wollte hastig durch eine Seitentür davonhuschen, doch schon hatte der Senher seine Chance gewittert und stürzte sich auf ihn wie ein bösartiger Raubvogel. «Wie lange dauert das denn noch, hä? Ich stehe jetzt schon eine halbe Stunde vor dieser Tür!» Das «Ich» war 121
    symptomatisch für Onkel Philomenus’ Weltbild. Andere hatten daran bestenfalls als Randdekoration Platz.
    «Der Viguié ist sehr beschäftigt…», begann der Schreiber, doch mit solchen Argumenten war einem Senher Philomenus d’Auban, der immerhin einen Sitz im Conseil de Ville innehatte und ein persönlicher Freund des dritten Parlamentspräsidenten war, nicht beizukommen. «Beschäftigt? Während unsere Frauen und Kinder von Mordbuben entführt werden? Während friedliche Reisende von Raubgesindel auf offener Straße erschlagen werden, am helllichten Tage?»
    Fabiou seufzte tief. Ihre Ankunft in Ais hatte sich anders gestaltet als erwartet; ihnen war nicht viel Zeit geblieben, die Wunder der großen Stadt zu bestaunen, die tiefen Straßenschluchten, die hohen Gebäude, die um so vieles eleganter und nobler schienen als die Häuser, die sie aus Ate kannten, die unzähligen

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