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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Menschen jeden Alters und Standes, die sich durch die Gassen drängten. Onkel Philomenus hatte schon wartend in der Einmündung der Carriero de Jouque gestanden, als sie in ihrer Kutsche die Carriero dis Noble heruntergezuckelt waren. Frederi, der Geistesmensch, war vorausgeritten, kaum dass sie Ais erreichten, um ihr Kommen anzukündigen, und erwartungsgemäß hatte das Empfangskomitee bereitgestanden: Oma Felicitas, auf ihren Stock gestützt, in eines ihrer cremefarbenen, kragenlosen Kleider gehüllt, die ungefähr seit der Jahrhundertwende außer Mode waren, die Lider um ihre kurzsichtigen Augen zusammengekniffen, dass sich ihre Stirn in tausend Fältchen kräuselte, Tante Eusebia, die die Hände in die Luft warf wie ein Klageweib, das einem Leichenzug folgt, Cousin Theodosius mit buttercremeverschmiertem Mund und glotzenden Augen. Dank sei Gott, dass ihr hier seid, Dank sei Gott, quiekte Tante Eusebia mit schriller Stimme und bekreuzigte sich ungefähr dreißig Mal, während Onkel Philomenus der Dame Castelblanc mit düsterem Gesicht die Hand reichte und sagte, ein schwerer Tag, geliebte Schwester, lass mich dich ins Haus geleiten, als habe sie soeben einen lieben Angehörigen verloren. Seine Frau folgte ihm, wobei sie wie eine angeschossene Rebhenne um die Dame Castelblanc herumhüpfte und Dank sei Gott, Dank sei Gott deklamierte, bis Oma Felicitas sie anfuhr, wenn sie Gott danken wolle, dann solle sie ge122
    fälligst in die Kirche gehen und aufhören, hier die Pferde scheu zu machen. Und während sie ihre Anverwandten grummelnd in den Hof und die Treppe zur Eingangstür hinaufscheuchte, griff sich Onkel Philomenus den schwach protestierenden Frederi und zog los, den Viguié als Inhaber der niederen Polizeigewalt über die Unsicherheit der provenzalischen Straßen zu unterrichten. Natürlich hatte er nichts dagegen, dass Fabiou sie begleitete. Zuschauer waren durchaus erwünscht.
    Der Schreiber schielte hilfesuchend nach der rettenden Tür zu seiner Rechten. «Senher, ich versichere Euch, der Viguié wird Euch empfangen, sobald seine Zeit es ihm gestattet…»
    «Wie bitte?» Der Senher richtete sich zu seiner vollen Größe auf
    – was nicht unbedingt viel heißen wollte, das Größte an ihm war sein Bauch – und polterte los: «Weiß dieser Viguié überhaupt, wer ich bin? Mein Name ist Philomenus Senher d’Auban, Mitglied des Conseil de Ville und enger Vertrauter…»
    «…des dritten Parlamentspräsidenten, das ist mir durchaus bekannt.»
    Die Tür war vollkommen lautlos in ihrem Rücken aufgegangen, und als sie sich umdrehten, stand ein hagerer Herr in der Kleidung eines Amtmannes hinter ihnen, ein Herr in Frederis Alter, Anfang, Mitte vierzig vielleicht, die Haare noch völlig schwarz, ebenso der Bart, der, wie es zunehmend in Mode kam, am Kinn spitz zulaufend geschnitten war. Er bedachte Onkel Philomenus mit einem Blick, der nicht mehr und nicht weniger besagte, als dass er hier die Autorität war, Senher und Parlamentspräsident hin oder her, und sagte in einem Tonfall, dessen Sanftheit dieses Blickes spottete: «Viguié Crestin, zu Euren Diensten, meine Herren. Wie kann ich Euch behilflich sein? Aber… tretet doch ein, nehmt Platz, bitte sehr…»
    Eine einladende Handbewegung. Der Senher murmelte etwas Unverständliches und rauschte an Crestin vorbei in die Amtsstube. Der Cavalié de Castelblanc und Fabiou folgten.
    «Bitte, nehmt Platz, meine Herren…» Der Viguié deutete auf ein paar Stühle, die nur unwesentlich bequemer aussahen als die im Vorraum. «Mèstre Laballefraou, oberster Arquié…» Er wies auf einen Mann Anfang dreißig, der zu ihrer Rechten hinter einem 123
    Schreibpult stand, und ließ sich selbst in einen gepolsterten Sessel jenseits eines großen, nicht unaufwendig geschnitzten Schreibtischs aus Eichenholz fallen. «Also, was haben sich für unglaubliche Infamitäten ereignet, dass Ihr uns derart bei der Arbeit stören müsst?», fragte er. Der Spott in seiner Stimme war an sich nicht zu überhören, aber Onkel Philomenus schaffte es problemlos. «Unglaubliche Infamitäten, in der Tat!» ereiferte er sich. Zur Rechten raschelte Papier, als der Arquié seine Protokollzettel sortierte, und der Viguié lehnte sich mit einem leisen Seufzer zurück, in Erwartung der längeren Geschichte, die nun zwangsläufig folgen musste. Der Senher öffnete den Mund, runzelte die Stirn, offensichtlich auf der Suche nach Worten, die der Infamität des Anlasses gerecht wurden, und platzte

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