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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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    noch nie zuvor von einem Pferd gestiegen. Hinter ihm klappte eine Tür, aus dem Augenwinkel sah er Catarino und Cristino aus der Kutsche steigen.
    Fabiou hatte noch nie einen Toten gesehen. Wenn man in Castelblanc aufwächst, kommt man nicht allzu oft in Situationen, wo man auf Leichen stößt; anders als in der Stadt, wo man, wie Cousin Theodosius stets großspurig erzählte, im Winter jeden Tag über einen toten Bettler stolperte, waren vergleichbare Ereignisse in den Dörfern nördlich des Luberoun eher selten. Vor zwei Jahren, als der alte Joussou, Bardous greiser Vater, gestorben war, hatte Catarino vorgeschlagen, zu dessen Zimmer zu gehen, um den Toten anzuschauen und endlich mitreden zu können – mindestens fünf ihrer besten Freundinnen konnten damit angeben, bereits eine Leiche gesehen zu haben, und Anne de Valet hatte in Ate sogar schon mal eine Hinrichtung miterlebt, womit sie prahlte, als sei sie dem König persönlich begegnet. Cristino hatte Catarinos Ansinnen entsetzt abgelehnt, allein die Vorstellung, einen Toten zu sehen, hatte sie mit Grauen erfüllt, aber Catarino und Fabiou hatten sich, gefolgt von Frederi Jùli, den man natürlich nicht hatte abwimmeln können, auf den Weg zur Dienstbotenunterkunft gemacht. Ihr Vorhaben wäre möglicherweise von Erfolg gekrönt gewesen, wären sie dabei nicht dem Cavalié begegnet und hätte Frederi Jùli, der kleine Idiot, ihm nicht strahlend von ihrem Plan erzählt. Der Cavalié hatte ihr Vorhaben als unchristliche Schaulust verdammt und sie schimpfend in ihre Zimmer zurückdirigiert, und bevor sich eine erneute Gelegenheit ergab, war der Leichnam schon in Tücher gehüllt auf einen Karren verladen, um nach Oppède transportiert zu werden.
    Manchmal hatte Fabiou sich gefragt, was er beim Anblick eines Toten empfinden würde. Ehrfürchtige Scheu und fromme Andacht, Herr, nimm ihn in dein Reich auf und lass ihm die ewige Seligkeit zuteil werden? Entsetzen, Angst, Ekel, wie es Catarinos Freundinnen mit entsagungsvollem Augenaufschlag zu berichten pflegten – «Mir schwanden die Sinne vor Grauen, als ich in seine starren gebrochenen Augen blickte…»? Gefasste Ruhe, die ihn befähigen würde, umherstehende kreischende Weiber zu trösten
    – «Euer Gatte ist heimgegangen, meine Dame, Ihr habt mein tief 116
    empfundenes Beileid»? Wie schlimm war der Anblick eines Toten, stimmte es, dass er einen in die tiefsten Träume verfolgt und ein Leben lang nicht mehr loslässt?
    Jetzt war er erstaunt, wie wenig er in der Tat empfand. Ein Toter, gut. Ein Baum, ein Pferd, ein Toter. Eine weitere sinnlich fassbare Tatsache, weiter nichts. Nichts Erschreckendes oder Gruseliges, nichts, was einen zu Tränen rührte, kein Anblick, der einen grauste oder ekelte. Im Grunde sah er nicht anders aus als ein lebender Mensch auch, obwohl er eindeutig tot war. Fabiou hatte nie gewusst, woran man sah, dass einer nicht mehr lebte, dabei war es so einfach, nicht einen Moment konnte man auf die Idee verfallen, dass dieses wächserne, bleiche Gesicht einem Lebenden gehörte. Es war ein Mann, gekleidet in das schlichte, aber nicht billige Reisegewand eines Kaufmanns. Etwas an seiner Kleidung, seinen Stiefeln, dem Barett, das von seinem Kopf gerutscht war und spärliches graues Haar freigab, war fremdartig, nicht so, dass es sofort ins Auge fiel, dennoch, das war keiner aus der Gegend, und auch kein Franzose, ein ausländischer Kaufmann auf Geschäftsreise vielleicht.
    «Ist er vom Pferd gestürzt?», fragte hinter ihm eine ängstliche Stimme. Cristino. Er dachte an ihr Entsetzen an dem Morgen, als Bardous Vater gestorben war. Sie hatte den halben Tag geweint, um einen alten, vergreisten Diener! Sie wäre wohl besser in der Kutsche geblieben. Das war wohl kein Anblick für ein zartes Geschöpf wie sie.
    «Sieht nicht so aus.» Der Baroun zeigte auf den Rock des Fremden. Über der Brust war er rot vor Blut. Frisches, klebriges Blut.
    «Heilige Maria Mutter Gottes steh uns bei!» Die Dame Castelblanc, die sich bekreuzigte, als stünde sie dem Leibhaftigen gegenüber. Inzwischen hatte sich nahezu die ganze Reisegesellschaft um den Fremden versammelt.
    «Räuber, das waren Räuber!», schrie die Barouno mit schriller Stimme. «Ich habe es diesem Protestanten ja gesagt – lässt man sie laufen, dann bringen sie gleich den nächsten um!»
    «Ist er… tot?», fragte Cristino zittrig.
    Der Buous war neben dem Fremden niedergekniet. «Er atmet nicht mehr», sagte er. «Ich denke, wir

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