Die Kinder des Ketzers
die allerdings wesentlich älter und bereits verheiratet waren. Theodosius war ein hübscher Junge, der mit seiner schlanken, hochgewachsenen Gestalt, seinem Engelsgesicht und seinen kastanienbraunen, seidigen Locken viel mehr seiner Tante Madaleno als seiner pummeligen Mutter ähnelte. Allerdings behaupteten böse Zungen innerhalb der Familie, dass dieser Umstand das einzig Positive war, was sich über den jungen Theodosius sagen ließ, und wenn man sich im Hause Castelblanc über etwas einig war, so war es dies: Dieser Junge war definitiv ein Grund, um Ais einen weiten Bogen zu machen. Die Abneigung der Bèufort-Geschwister gegen den kleinen Auban hatte sich in diversen Spitznamen niedergeschlagen, von denen Theodosius-das-Großmaul noch der harmloseste war.
«Die Antonius-Jünger, die Antonius-Jünger!» äffte Oma Felicitas ihren Sohn nach. «Du machst ein Geschrei, als ob die Antonius-Jünger bereits mit tausend Mann vor der Hofeinfahrt lagern würden.»
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«Ihr solltet das nicht so herunterspielen, Mutter!», sagte Philomenus tadelnd. «Ich erinnere mich noch an die Zeit, als diese Untiere in unseren Ländern wüteten und eine Blutspur quer durch den Luberoun zogen. Sollen wir zulassen, dass diese Tage sich wiederholen?»
«Eine Blutspur! Quer durch den Luberoun!» Oma Felicitas’
Stimme klang spöttisch. «Liebste Eusebia, dein Mann neigt zu maßloser Übertreibung!»
«Wollt Ihr etwa abstreiten, dass dieses Gesindel unsere Gegend jahrelang mit Raub und Mord überzogen hat?», schrie Philomenus seine Mutter an. «Wollt Ihr bestreiten, dass sie die göttliche Ordnung selbst in Frage gestellt haben?»
«Oh Gott, Philo, das waren ein paar Strauchdiebe!» Die Großmutter verdrehte ihre dunklen Augen. «Die Sache wurde furchtbar hochgespielt, weil sie ein paar hochgestellten Persönlichkeiten die Gäule geklaut haben! Blutspur! Ich weiß nicht von einem einzigen Mord, den diese Bande von Hungerleidern begangen hätte, und das mit der göttlichen Ordnung ist ja wohl auch ein bisschen übertrieben.»
«Keinen einzigen Mord, ja?», rief Onkel Philomenus. «Und was war mit Degrelho?»
In einem Moment schien Stille wie ein Eisregen auf den Tisch niedergestürzt zu sein. Die Dame Castelblanc starrte ihren Bruder an mit offenem Mund und geweiteten Augen, und neben ihr schlossen sich Frederis Fäuste, öffneten und schlossen sich wieder. Oma Felicitas’ Gesicht war eingefroren, so wie man sagt, dass böse Grimassen missgünstiger Weiber einfrieren können, ihre verzogenen Lippen gaben ihr vom Alter gelb verfärbtes, aber noch erstaunlich vollständiges Gebiss frei.
«Nun», die Dame Castelblanc gab ein albernes Kichern von sich,
«wie wäre es, wenn wir über Erfreulicheres redeten als dieses Raubgesindel? Die armen Mädchen werden noch Albträume bekommen! Ich möchte morgen früh unbedingt in die Stadt fahren», plapperte sie auch schon munter drauflos, «zum Schneider, und zum Schuhmacher, ich brauche unbedingt ein Paar dieser neuen Schuhe, du weißt schon, Eusebia, die mit den silbernen Spangen und den erhöhten Absätzen.»
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«Au ja!», rief Catarino erfreut. «Kauft Ihr mir auch ein Paar, Mutter?»
«Darf ich mit in die Stadt?», schrie Frederi Jùli. «Theodosius sagt, da sind gerade Feuerschlucker! Ich hab’ noch nie einen Feuerschlucker gesehen!»
«Ich finde, ihr habt alle genug Kleider, und genug Schuhe», sagte Frederi missmutig.
«Ach, Frederi, mir zuliebe. Und heute Abend sollten wir noch bei den Savanets vorbeischauen, ich bin so gespannt, was es Neues in Ais gibt.» Tante Eusebia sah säuerlich drein, da diese Bemerkung schließlich ausschloss, dass sie selbst ein gewisses Maß an Information über Ais’ Neuigkeiten besaß. «Und den Mancouns sollten wir auch noch unsere Aufwartung machen, kurz zumindest, nur um ihnen zu versichern, dass wir selbstverständlich zu ihrer netten kleinen Gesellschaft kommen werden…»
«Au ja!», rief Catarino.
«Ein netter Gedanke, wirklich», meinte Eusebia.
Frederi starrte in die Reste der Soße auf seinem Teller. «Habt ihr nicht etwas vergessen?»
«Was denn?»
Er sah auf. «Die Messe für jenen unglücklichen Menschen, den wir heute am Wegesrand gefunden haben.»
«Aber Frederi, wir kannten den Mann doch gar nicht!», meinte Philomenus kopfschüttelnd. «Und der Priester kann die Messe schließlich auch alleine lesen!»
«Es wäre durchaus auch eine Idee, Gott dafür zu danken, dass er uns trotz aller Gefahren sicher nach Ais gebracht
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