Die Kinder des Ketzers
gesagt, ein paar Worte als Geleit ins Leben, die sie sich hatten merken wollen und doch schon zwei Tage später vergessen hatten. Keiner von ihnen hatte damals damit gerechnet, dass sie sich jemals wiedersehen würden.
«Und? Was führt euch hierher nach Ais?» Antonius lachte, ein fröhliches, gewinnendes Lachen, das seine Zähne entblößte, zwei Zähne fehlten in seinem Oberkiefer, immer schon. Er hatte nie so recht damit herausgerückt, bei was für einem Unfall er sie verloren hatte.
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Fabiou grinste frech. «Oh, Mutter ist der Meinung, dass es höchste Zeit ist, meine Schwestern an den Mann zu bringen, und so konnten wir sie überreden, endlich mal einen Sommer in Ais zu verbringen», erklärte er trocken. Die Mädchen kicherten wieder.
«Und was machen die Studien?», fragte Antonius lächelnd –
schließlich war er ihr Lehrer gewesen über fünf lange Jahre. Frederi hatte lange überlegt, ob er Fabiou in eine Klosterschule schicken sollte, wie er sie selber als Kind besucht hatte, doch schließlich war er von dieser Idee abgekommen und hatte stattdessen beim Augustinerkonvent in Ais wegen eines Hauslehrers angefragt. Der Abt hatte ihm geantwortet, dass er leider keine seiner erfahrenen Lehrkräfte entbehren könne – schon gar nicht zu dem Preis, den Frederi ihm bot –, aber es gebe da einen sehr talentierten jungen Frater, den er ihm empfehlen und zudem auch gerne als Lehrer zur Verfügung stellen würde. Frederi betrachtete das blasse, dünne Jüngelchen, das da eines Novembermorgens in einer abgetragenen Kutte über seinen Hof geschlurft kam, zunächst mit gehörigem Misstrauen. Zu Unrecht, wie sich bald herausstellte. Der magere junge Mönch mit den für seine Jugend so unpassenden grauen Strähnen im Haarkranz erwies sich als kleines Genie, das acht Sprachen beherrschte, die Bibel ebenso auswendig konnte wie die Schriften Platons, sich auf Logik, Dialektik und Philosophie gleichermaßen verstand wie auf Mathematik, Medizin und Rechtslehre und zudem eine Gabe hatte, mit Kindern umzugehen. Fortan verbrachte Bruder Antonius neun Monate im Jahr in Castelblanc und nur noch drei in seinem Kloster in Ais. Bruder Antonius’ Jugend hatte zwar zur Folge, dass sein Verhältnis zu Fabiou wenig von einer respektvollen Lehrer-Schüler-Beziehung hatte und eher freundschaftlich war, doch gerade das führte dazu, dass dieser seine Studien mit einer Begeisterung betrieb, die keiner erwartet hätte. Frederi, der der Meinung war, auch den Mädchen könne etwas Latein und Griechisch nicht schaden, ließ dieselben am Unterricht teilnehmen, den zumindest Cristino mit dem gleichen Eifer verfolgte wie Fabiou. Die Kinder waren sehr betrübt gewesen, als Frederi vor zwei Jahren befunden hatte, sein Stiefsohn habe genug gelernt, und Antonius nach dem Sommer für immer nach Ais zurückkehrte.
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Fabiou begann sogleich eifrig von seinen Fortschritten in der Dichtkunst zu erzählen, und er wäre wohl so schnell von diesem Thema nicht mehr abgekommen, wäre in diesem Moment nicht der Cavalié de Castelblanc herbeigeeilt. «Bruder Antonius, gut, Euch hier zu treffen, ich wollte diese Tage sowieso den Abt aufsuchen…
Was meint Ihr, Ihr habt Fabiou so vortrefflichen Unterricht erteilt, wäret Ihr vielleicht auch bereit, meinen Sohn Frederi zu unterrichten? Ja? Hervorragend, ich werde alles mit dem Abt abklären, gehabt Euch wohl.» Er war bereits weitergegangen, einen Bekannten begrüßen, der just in diesem Moment die Kirche betrat.
«Frederi!», stöhnte Catarino und verdrehte die Augen.
«Ich habe dir schon oft gesagt, er ist dein Vater, und Gott spricht, du sollst Vater und Mutter ehren», sagte Antonius ernst.
«Er ist nicht mein Vater!», zischte Catarino.
«Er ist dein Vater, denn er kleidet, ernährt und schützt dich wie ein Vater, und ich möchte behaupten, er liebt dich auch wie ein Vater.»
«Pah!» machte Catarino, aber sie sah plötzlich etwas unbehaglich drein.
«Sag mal, was macht ihr hier eigentlich?», fragte Fabiou neugierig. Schließlich hatten die Augustiner ihre eigene kleine Kapelle im Konvent, an der Messe in Sant Sauvaire nahmen sie nur zu besonderen Anlässen teil. «Heute ist meines Wissens weder Weihnachten noch Ostern.»
Antonius seufzte, ein Seufzen, das sie kannten, das Seufzen, das er ausstieß, wenn er über den Völkersturm sprach oder den Ausbruch des Vesuvs oder den Sacco di Roma. «Warum soll ich’s euch nicht erzählen, es pfeifen allmählich ja ohnehin die Spatzen von den
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