Die Kinder des Saturn
Fahrkartenschalter noch Licht. »Hallo, gnädige Frau, was kann ich für Sie tun?«, fragt der Schalterbeamte, der im Lichtkegel einsam Wache schiebt.
»Welche Personenzüge fahren heute Abend überhaupt noch?«, frage ich und ringe mir ein entwaffnendes Lächeln ab. (Würde ich die Zähne so fletschen, wie es meiner derzeitigen Gemütslage entspricht, würde er vermutlich sofort auf den Alarmknopf drücken.)
»Der Nachtzug mit Schlafwagen von Barsoom zum Marshafen, über New Chicago und München, aber das ist auch der Einzige. Er müsste in einer halben Stunde hier sein und hält dann erst wieder in New Chicago …«
»Ach ja?« Im mechanischen Getriebe meiner Seele rasten Zahnrädchen ein. »Dann möchte ich einen Schlafwagenplatz für diesen Zug buchen. Zum Marshafen. Was können Sie mir anbieten?«
»Wie bitte? Einfach so?«, fragt er verwirrt. »Lassen Sie mich mal nachsehen. In der Ersten Klasse ist noch was frei. Kostet elf Real und fünfundsechzig Centimes. Sind Sie sich auch sicher …«
»Ja, bin ich.« Ich lege den knallgrünen Kreditchip vor ihn auf den Schalter. »Marshafen passt mir wunderbar.«
»Aber Sie sind doch …« Er bricht mitten im Satz ab, da er merkt, dass es mir ernst ist.
Mach ihm irgendwas vor. »Ich habe meinem Gönner einen kleinen Streich gespielt«, erkläre ich mit verkrampftem Lächeln. »Deshalb muss ich morgen früh über alle Berge sein, sonst bin ich dran. Ist nichts Schlimmes – in ein, zwei Tagen hat er sich bestimmt wieder beruhigt. Aber bis dahin muss ich wirklich abtauchen.«
»Gewiss doch, gnädige Frau. Ich wollte Sie wirklich nicht aushorchen.« Sofort entspannt er sich (sofern man bei jemandem, dessen Oberkörper in einer Marmorplatte verankert ist, überhaupt von Entspannung reden kann.) »Ich stelle Ihnen gleich die Fahrkarte aus.«
Fünf Minuten später spaziere ich im Dunkeln auf dem leeren Bahnsteig entlang. Die fernen Lichter der Bahnstation werfen Schlagschatten über die Zementplatten. Ich blicke zu den Sternen auf, die wie Stecknadelköpfe glänzen. Der untere Teil des Marshafens und die Bifröst-Brücke sind weit entfernt und wegen der Planetenkrümmung kaum auszumachen. Unter meinen Absätzen ist das leichte Knirschen grobkörniger Eiskristalle zu hören. Die Schienen funkeln in der nächtlichen Lichtschneise, die neben dem Bahnsteig entlangführt – schnurgerade Laserstreifen, die in der unsichtbaren Ferne konvergieren.
Zwischen meinen Schultern juckt es mich so, als klebte eine Zielscheibe in meinem Nacken. Ich habe weder die Drohungen der Domina vergessen noch die indirekte Warnung Petruchios. Doch ein Teil meines Inneren ist wie abgestorben, fast so, als wäre er ganz damit einverstanden, für immer ausgelöscht zu werden. Dieser Teil, von dem ich eigentlich gar nichts wusste, wurde vorhin auf wunderbare, seltsame Weise zum Leben erweckt, um nur wenige Minuten später zerstört zu werden. Ich fühle mich aufgelöst, kaputt und dennoch unfähig, all dem ein Ende zu machen. Am liebsten würde ich … Nein, ich will nicht sterben. Aber ich möchte diese Verliebtheit loswerden und zu einer angenehmen Empfindungslosigkeit zurückfinden. Würde einer von Stones Brüdern in diesem Augenblick vor mir auftauchen, wäre es mir ziemlich egal, wie die Sache ausgeht – ob ich meine Wut an einem Stellvertreter für Petruchio auslassen könnte, der mir gerade recht kommt, oder ob dessen Messerspitze mich für immer zum Schweigen brächte.
Doch es tauchen keine Mörder auf. Stattdessen rumpelt eine glatte düstere Wand am Bahnsteig entlang, drosselt die Geschwindigkeit und hält lautlos neben mir. Ich steige in den Zug, schlängle mich durch den schmalen Gang und halte nach meinem Waggon und dem Abteil Ausschau. Noch ein paar Tage, dann kann ich den Staub des Mars von meinen Füßen schütteln. Bis dahin werde ich einfach im Marshafen untertauchen und meine Wunden lecken. Die Jeeves-Brüder können mich mal …
Meine Einzig Wahre Liebe , tot und für immer verloren, ich bin kreuzunglücklich!
Offenbar kann ich dem Miststück selbst im Schlaf nicht entkommen. Im Traum bin ich wieder Juliette. Was noch schlimmer ist – so, als ramme mir jemand ein Messer in den Leib und drehe es darin herum: Jetzt bin ich eine Juliette, die verliebt ist. Und unglücklich darüber, weil sie (ha!) in ihn verliebt und in emotionaler Hinsicht blind und hilflos von ihm abhängig ist. Hinzu kommt, dass eine gewisse namenlose Herrin mit ehrgeizigen Zielen, die selbst ihrem
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