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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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wahr?
    Der Gang zieht sich durch die ganze Länge des Waggons. An jedem Ende bieten Türen Zugang zu den Gepäckabteilen und den Luftschleusen, die den Zug beim Halten mit dem Bahnsteig verbinden. Während ich mich zur hinteren Tür schlängle, spüre
ich, wie der Waggon hin und her schwankt. Der Zug bremst merklich ab. Vom Ende des Ganges dringt schwaches Licht herein. Da in die Tür ein Fenster eingelassen ist, schleiche ich mich geduckt an, halte inne und richte mich schließlich leicht auf, um ein Ohr an die Verkleidung zu legen.
    »Zehn Minuten«, sagt eine vertraute Stimme. »Das müsste reichen. Ich stelle den Zünder so, dass er fünf Minuten nach der Abfahrt losgeht.«
    Irgendjemand antwortet mit gedämpfter Stimme. Ich will nicht länger warten, meine Wirbelsäule kribbelt vor Anspannung. Irgendein blutrünstiger Teil von mir würde jetzt am liebsten durch die Tür stürmen, die beiden in der Luft zerreißen, zerfetzen und zertreten, doch die Stimme der Vernunft sagt mir, dass das der helle Wahnsinn wäre. Es sind mindestens zwei Gegner, und sie sind bewaffnet. Also stehe ich langsam auf und ziehe mich zurück.
    In diesem Moment geht die Tür auf, und bei mir setzen Reflexe ein, die ich bisher nicht kannte. Meine Wahrnehmung reduziert sich auf blitzende Punkte, die wie Perlen an einem Band aufgereiht sind. Dennoch prägen sich mir flüchtige Eindrücke ein: meine rechte Hand, die hochfährt; die Schweizer Armeepistole, die wie ein Zeigefinger nach oben weist; meine linke Hand, die die Waffe so umfasst, als hätte sie das schon tausendmal getan; die üppigen Spitzen an Handgelenken und Kehle des winzigen schwarz gekleideten Homunkulus; seine Hand, die etwas Stummelartiges auf mich richtet; der viel zu langsame Druck auf den Abzug – er wird als Erster schießen! -, und gleich darauf der Knall, der auf diesem begrenzten Raum ohrenbetäubend laut ist; das Aufblitzen; ein zweiter Schuss, ein dritter. Irgendetwas zerrt an mir, und plötzlich habe ich ein Déjà-vu-Erlebnis, erinnere mich an einen Kampf vor einem Friedhof, aber es ist nur meine Jacke, die mich behindert, also schieße ich erneut. Wie in Zeitlupe fällt der Zwerg hin, schwebt nach unten, während ich zu ihm hinüberhechte und mich weiter geduckt halte, da ich mit Schüssen des zweiten Gegners rechne.

    Gleich darauf trete ich durch die Tür, doch vom zweiten Zwerg ist nichts zu sehen. Ich wirble herum, und während ich einen Blick auf die Außenwelt werfe, die langsam vor dem Fenster der Luftschleuse vorbeizieht, landet er wie ein zehn Kilogramm schweres Bündel Böswilligkeit auf meiner linken Schulter. Reflexartig reagiere ich mit einem Stoß, der ihn zur Decke befördert. Als er zurückprallt, zielt er auf meinen Kopf, doch ich bin zu schnell für ihn. Als Nächstes schlingt er die Arme um meinen Hals und beißt mich ins Ohr, also schiebe ich die Revolvertrommel zur Seite und schlage mit dem dünnen Pistolenknauf wie mit einem Schlagring auf ihn ein. Die Angst davor, dass er mir meine allzu großen Augen aussticht, verleiht meinen Schlägen zusätzliche Kraft. Irgendetwas zerfetzt die Haut über meinen Wangenknochen; gleichzeitig fährt mir ein brennender Schmerz durchs Ohr. Doch gleich darauf kann ich wieder sehen und mich frei bewegen. Als er schimpfend durch den Raum federt, wende ich mich ihm zu …
    »Scheißmarionette, Roboter, Schlampe! Jetzt bring ich dich um!« Er lehnt sich an die verriegelte Außentür, umklammert mit den Fäusten einen kleinen Behälter und starrt mich mit brennendem Hass an. Auch er ist ein Bruder von Stone.
    Ich verdrehe die Augen. »Das wirst du nicht tun, denn dann gehst du genauso drauf wie ich.« Einer seiner Finger schwebt über einem Schalter. Ich kann den ätzenden Gestank freien Sauerstoffs riechen – berauschend, zersetzend und überaus giftig. »Das wäre doch keineswegs komisch, oder?«
    »Roboter!« Die wiederholen sich, wenn sie in Wut geraten, zwitschert eines meiner bösartigen Ichs voller Häme.
    Überaus langsam bewege ich mich so zur Seite, dass ich die Wand des Gepäckabteils im Rücken habe. Ich bemühe mich, nicht darüber nachzudenken, woraus sie besteht: aus wunderbar glänzendem, leichtem, widerstandsfähigem Metall, das in einer oxidierenden Atmosphäre das Letzte ist, was man im Rücken haben möchte. »Willst du wirklich sterben? Ich bin durchaus offen für Alternativen …«

    »Was spricht gegen das Sterben?« Er grinst. »Ich hab meinen Seelenchip einem Bruder anvertraut, ehe ich in

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