Die Kinder des Saturn
auftauchen.
Ich gehe gerade auf eine Mauer zu, hinter der ich mehrere Containerwaggons und Gebäude erkennen kann, als ich Stimmen höre, die sich leise in Elektrosprache unterhalten. »Fremde kommt von Unfallstelle. Schnüffelt die hier rum?«
»Dann tauch doch ab, Schwachkopf. – Ahoi, Große vom Eilzug. Was machst du hier?«
Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Zeit für eine schnelle Entscheidung. »Ich verstecke mich«, sage ich leise und umklammere die Pistole in meiner Schultertasche. »Wer seid ihr?«
Gedämpftes Gekicher. Ich höre, wie sich etwas von mir wegbewegt. Durch meine Fußsohlen hindurch spüre ich zugleich, wie in der Ferne Räder über Stahlschienen rumpeln. »Wir springen von Zug zu Zug und sind drei.« Oder hat er »frei« gesagt? »Sei willkommen. Was du mit uns teilst, zahlt sich immer aus.« Als er sich unter den nächsten Containerwaggon zurückzieht, erhasche ich einen Blick auf einen kleinen Körper mit vielen Gliedern. »Sei frei und ohne Angst.«
Ich krieche ihm nach, wobei Eiskristalle unter meinen Händen und Knien knirschen. »Wer seid ihr?«, frage ich nochmals.
»He, jetzt bist du aber unheimlich neugierig. Sei nicht so ungebührlich dreist, Gast. Wer bist denn du ?«
Ich richte mich auf. Wenige Meter entfernt steht eine weitere Reihe von Containerwaggons, und dazwischen findet eine seltsame Versammlung statt. Irgendjemand hat die Sicherungsbatterien der Waggons angezapft und oben Heizstrahler angebracht, die rötlich glühen und den Boden neben den Schienen dunkel wirken lassen. Sie spenden gerade so viel Licht, dass man noch
etwas sehen kann, und gerade so viel Wärme, dass man es in der eiskalten Nacht aushält. Ein halbes Dutzend seltsamer Geschöpfe hat sich zwischen den Heizstrahlern niedergelassen. Beispielsweise erkenne ich einen Schwergewichtheber, dessen kurzer, stummelartiger Körper aus der Tragefläche eines Kettenfahrzeugs ragt. Seine Arme sind so dick wie mein Rumpf und die Ellbogen mit mehreren Gelenken ausgestattet. Ein Zwergenpaar, das eindeutig schon bessere Zeiten erlebt hat, wärmt sich unter einer Achsenheizung. Sie sind Landstreicher oder Ausreißer, Freigeister in einer Welt, deren Mühlen die Freiräume mehr und mehr zermahlen. Ich wette, keiner von ihnen ist an irgendeine Kapitalgesellschaft angeschlossen und entsprechend registriert. »Ich heiße Freya«, stelle ich mich vor. »Bin nur auf der Durchreise.«
»Wie wir alle«, erwidert derjenige, der mich begrüßt hat. Er hat schätzungsweise sechzehn Beine und einen Körper, der aus vielen Segmenten besteht und in einen Hals übergeht, auf dem eine Platte mit Sensoren sitzt. Irgendetwas an ihm erinnert mich an Daks. Ist er vielleicht jemand, der durch Asteroidenstollen kriecht? Oder ein Bergwerksaufseher? »Sei willkommen und heiß auch uns willkommen. Komm, wärm deine Glieder am Feuer.«
»Bin nur auf der Durchreise«, wiederhole ich langsam. Ich zittere, aber nicht wegen der Kälte. Meine Wärmemodule funktionieren ausgezeichnet. Trotzdem fühle ich mich … nein, nicht richtig benommen , aber auch nicht gut. Was mich niederdrückt, ist das Gefühl völliger Verlassenheit, so als schnitte mich ein Vorhang vom Rest des Universums ab. Petruchio liebt mich nicht. Stone, Jade und deren Brüder trachten mir nach dem Leben und greifen inzwischen zu immer bedrohlicheren Maßnahmen. Nach und nach wird mir klar, dass ich Glück habe, überhaupt noch am Leben zu sein. Wäre ich nicht mit einem bestimmten Verdacht aufgewacht, hätte ich das Gasgemisch nicht sondiert … Sie hätten unbemerkt ihren Zeitzünder einstellen und an diesem Bahnhof aussteigen können. Ich hätte bis zur Zündung weitergeschlafen, der Schlafwagen wäre blitzschnell explodiert und ich für alle Zeiten tot gewesen, und das nicht nur leiblich, denn auch mein Seelenchip
wäre dabei verschmort. Deine Schwester lässt dich grüßen. Juliette? Wollte Jade nur ein Spiel mit mir treiben, oder hat er die Wahrheit gesagt? Falls Letzteres zutrifft, warum weiß Petruchio dann nicht, wo Juliette sich aufhält? Und warum wurde ausgerechnet Petruchio zu mir geschickt? Ich schüttle den Kopf. »Ich muss unbedingt zum Marshafen«, sage ich mit schleppender Stimme.
»Runter mit dir, hinsetzen!« Das mehrbeinige Geschöpf, das mich empfangen hat, wuselt um mich herum und zerrt eine Isoliermatte über die Betonschwellen. »Müde?« Ich nicke unwillkürlich, und das Nächste, das ich mitbekomme, ist, dass eine voluminöse Rolle nicht besonders
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