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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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den Zug gestiegen bin. Oh, das hätte ich ja fast vergessen. Deine Schwester lässt dich grüßen.«
    Ach ja? Ich lasse mein Gesicht erstarren, blähe die Nasenflügel bewusst auf und ziehe die Augenbrauen hoch, so dass meine Miene abgrundtiefe Verachtung ausdrückt. »Wie ist dein Name, kleiner Mann?«
    »Ich heiße Jade.« Er kichert. »Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Freya .«
    Scheiße. Mir fallen Jeeves’ frühere Worte ein: Ich fürchte, wir stecken in Schwierigkeiten, meine Liebe. »Danke gleichfalls, Jade«, erwidere ich leichthin. »Jammerschade, dass es unter diesen Umständen geschieht.« (Soll heißen: während ich mit einer Waffe auf ihn ziele, er einen Zünder auf mich gerichtet hält und wir beide in einer Magnesiumfalle voll freien Sauerstoffs festsitzen.)
    Ich spüre, wie mir etwas am Hals heruntersickert. »Und ich kann dir versichern, dass es einen großen Unterschied macht, ob sich Geschwister an einen erinnern oder man selbst am Leben ist. Deshalb will ich dir ein Angebot machen. Dieser Zug wird gleich halten, und ich habe die Absicht auszusteigen. Ich schlage vor, du bleibst im Zug. Komm mir einfach nie wieder unter die Augen, dann muss keiner von uns beiden sterben.«
    Der Zug bremst unverkennbar ab, ich spüre es in den Füßen. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich Schatten am Fenster vorbeiziehen. Aufkreischend rumpeln die Zugräder über die Weichen, und es gibt einen kurzen Ruck, als wir von der Seite her auf einen Bahnsteig zukriechen. Jade starrt mich so lange böse und ohne mit der Wimper zu zucken an, dass ich mich irgendwann frage, ob er mein Angebot vergessen hat. »Ich gehe«, sagt er schließlich.
    Während er sich umdreht und durch die Tür auf den Gang trippelt, bleibe ich wie angewurzelt stehen und starre ihm hinterher, denn ich fürchte, dass ich nur einer Sinnestäuschung aufsitze. Bestimmt ist er immer noch hier und bewegt den Finger auf den Zünder zu …

    Als die Luftschleuse in meinem Rücken laut zu summen anfängt, drücke ich mit aller Gewalt auf den Türöffner und breche mir dabei fast einen Fingernagel ab. Ich stürze hinaus, auf den harten Zement des Bahnsteigs, gerate in meiner Hast ins Stolpern, rappele mich hoch und renne um mein Leben, auf den Ausgang zu. Es ist stockdunkel, denn beide Monde sind hinter dem Horizont verschwunden oder werden vom Halbschatten des Mars verdeckt, und es herrscht schneidende Kälte. Ich will keine Sekunde länger auf dem Bahnsteig bleiben …
    Mein eigener Schatten verlängert sich plötzlich vor meinen Augen, wirkt so gerade wie ein Schwert und so unbarmherzig wie ein Todesurteil. Hitze wie aus einem Hochofen löst Quaddeln aus Schutzpigmenten in meinem Nacken aus, während ich vorwärts und nach unten tauche, mich auf den mit Sand übersäten Beton des Bahnsteigs presse und die Augen fest zudrücke. Das Leuchten des brennenden Zuges ist so grell, dass ich fast den Urhebervermerk im Inneren meiner Augenlider lesen kann.
    Die nächsten sechzig oder mehr Sekunden sind verwirrend. Auf allen vieren entferne ich mich von der weiß glühenden Silhouette des Schlafwagens und stolpere anschließend zum anderen Ende des Bahnsteigs hinüber, ohne mir weitere Blessuren zuzuziehen. Meine Kleidung fühlt sich so an, als wäre sie mit meinem Rücken verschmolzen, doch der kalte Schweiß der Erregung macht sie so gleitfähig, dass ich mich zumindest noch bewegen kann – und das tue ich, ohne nach rechts und links zu sehen. Bald werde ich mich in den Tiefschlaf begeben müssen, um dabei die oberen Millimeter der Haut an meinem Hintern und den Schultern abzulösen. Ganz zu schweigen davon, dass ich auch neue Haare brauche. Doch das Wichtigste ist jetzt, so schnell wie möglich Abstand zum Bahnhof zu gewinnen.
    Offensichtlich hat irgendjemand Jade und seinem Bruder nicht zugetraut, den Job ordentlich zu erledigen. Entweder das, oder Jade hat seine Meinung im letzten Augenblick geändert. Was interessant ist, allerdings keineswegs erfreulich. Ich humpele ins Dunkle, überquere Schienen und erreiche schließlich den Rangierbahnhof
für Frachtgüter, wo auf Abstellgleisen Reihen verrosteter Güterwaggons zwischen baufälligen Lagerhäusern aus Ziegelstein schlummern. New Chicago lädt meiner Ansicht nach zwar keineswegs zu einem erholsamen Zwischenstopp ein, und ich will hier auf keinen Fall bleiben, aber das zerschmolzene Wrack eines Schlafwagens wird mich wohl kaum an mein Reiseziel befördern. Außerdem wird hier demnächst die Bahnpolizei

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