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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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stellen, ehe ich entscheide, ob ich ihn umbringe oder am
Leben lasse. Die Alternative wäre, hier liegen zu bleiben, auf die Risse an der Zimmerdecke zu starren und mich zu fragen, ob ich dabei bin, den Verstand zu verlieren. Denn die Giftspritze, die sich bei mir gemeldet hat, klang zwar wie die Domina, aber dieses heisere Kichern habe ich auch schon früher gehört: Es kam aus meiner eigenen Kehle, als ich von Juliette träumte.

    Ich bin nachmittags in Nerrivik gelandet, das am Äquator liegt, und es dunkelt bereits, als ich das Hotel verlasse. (Kallistos Tageslicht-Phase dauert mehr als sechzehn Standardtage.) Jupiter steht wie ein gekrümmtes schlierenförmiges Schreckensbild hoch oben am düsteren Abendhimmel und nimmt fast so viel Raum ein wie die Erde vom Äquator Lunas aus betrachtet, während die Sonne, die langsam zum Horizont sinkt, zu einem grell leuchtenden Punkt von Knopfgröße zusammengeschrumpft ist. Auf Kallisto ist die Nacht nie wirklich dunkel, allerdings ist hier häufig eine völlige Sonnenfinsternis zu beobachten, die die zerklüftete Wüstenlandschaft in unheimliches Zwielicht taucht.
    Draußen ist es kühl, und ich bin sehr froh, dass ich mir auf Mars den Kälteschutz habe installieren lassen. Weiter draußen, jenseits des Stadtrands, kriechen Lichtflecken über den zerrissenen Horizont. Ich kann nicht erkennen, ob es Lastwagen sind, die langsam am Boden entlangfahren, oder weiter entfernte Frachtkapseln, die an der Magnetbahn zu ihren Stellplätzen im Orbit emporsteigen. In der Gegenrichtung werfen die Kuppeln und Dildos der mit Atmosphäre ausgestatteten Gebäude Schatten, die nach und nach länger werden. Da mein Ortungssystem geladen ist, lasse ich mich von ihm zu einem gekrümmten Bauwerk dirigieren, in dem ein heruntergekommener Bürokomplex mit Geschäften für Bergbauzubehör und Reparaturwerkstätten untergebracht ist. Offenbar hat hier auch die Firma Jeeves ein Büro angemietet, obwohl ich beim besten Willen nicht verstehen kann, wieso, denn der ganze Komplex macht einen nicht gerade
erstklassigen Eindruck. Es gibt hier auch Spielhöllen, Buden, in denen man Energie tanken kann, und jede Menge Bordelle, denn selbst Bergbauaufseher haben gewisse Bedürfnisse. Dagegen dürften die Marktchancen für einen Gentleman, der Dienstleistungen für andere Gentlemen erbringt, in dieser Umgebung herzlich gering sein. Trotzdem muss Jeeves wohl seine Gründe für diese Ortswahl gehabt haben …
    Ungeduldig warte ich darauf, dass die Luftschleuse sich dreht und mich in warmes Kohlendioxid einhüllt. Je schneller ich diese Kugel aus schmuddeligem Eis wieder verlassen kann, desto besser. Ich hoffe, dass dieser Jeeves mich nur damit beauftragen will, irgendetwas zu den Fleischtöpfen des inneren Systems zurückzubefördern.
    Vor dem Lichthof befindet sich ein Empfang, dessen Angestellter mich mit Knopfaugen verfolgt, als ich den Boden aus grob zusammengehauenen Steinen überquere. »Wo ist das Büro von Jeeves?«, frage ich.
    Er sieht mich mit halb zusammengekniffenen Augen an. »Im vierten Stock, aber er hat gerade Besuch …«
    »Macht nichts. Er erwartet mich.« Ich steuere auf die Fahrstühle zu. Oben angekommen, gelange ich in ein düsteres, völlig leeres Vorzimmer, von dem auf beiden Seiten Türen abgehen. An einer davon ist diskret ein Messingschild angebracht, das wohl noch nie Sauerstoff ausgesetzt war, denn es wirkt makellos. Vermittlungen aller Art. Vor dem Türschloss mache ich mich in Elektrosprache bemerkbar: »Freya. Ich habe einen Termin bei Jeeves.«
    »Kommen Sie herein.«
    Das Schloss klickt. Nachdem die Tür sich vor mir geöffnet hat, schließen sich Hände um meine Handgelenke und zerren mich ins Büro. Im Bruchteil einer Sekunde wird mir glasklar bewusst, wie überaus dumm ich mich verhalten habe.
    »Nehmen … Sie … bitte … Platz«, krächzt das Ding, in das man den ortsansässigen Jeeves verwandelt hat. Er sitzt hinter dem firmenüblichen Schreibtisch, aber seine Arme enden unterhalb der Schulter in bizarren Stümpfen, eines seiner Augen ist nur
noch eine glibberige, schillernde Masse, die halb aus der Höhle hängt, und irgendetwas an seiner Körperhaltung verrät mir, dass man ihm auch die Beine abgehackt hat. Mein Ansprechpartner ist nur noch ein bemitleidenswert unbeweglicher, aber wahrnehmungsfähiger Krüppel.
    Diejenigen, die mich ins Büro gezerrt haben, sind zwei mit Stacheln gespickte Monster, größer als ich und viel stärker. Ihre menschenähnliche Arme und

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