Die Kinder des Saturn
dir ja gesagt, dass du meine Seele schon viel zu lange in dir trägst.«
»Madame Sorico, sind Sie wach?«, fragt eine fremde Stimme.
»Lass mich das erledigen.« Juliette hebt den Chip an die Lippen; ich spüre, wie sie ihn mit ihrem starken Kiefer zermahlt und die inneren Kontakte zerstört, ehe sie ihn zurück in meine Nackenbuchse schiebt. Das Ding wird nie wieder funktionieren. Aber das hat sie mir doch verboten , denke ich noch, bevor ringsum alles dunkel wird.
längst verloren geglaubte schwestern
ERIS IST EINER DER GRÖSSTEN ZWERGPLANETEN in unserem heimatlichen Sonnensystem. Und auch einer der kältesten und einsamsten, denn die meiste Zeit über befindet er sich ein ganzes Stück außerhalb des Kuipergürtels und schwebt in dem Dunkel, das jenseits der frostigen Ränder des planetaren Raums liegt. Wer einmal auf Eris gestrandet ist, hat es sehr schwer, von dort wieder wegzukommen, denn dessen Umlaufbahn verläuft steil nach oben und liegt fast fünfundvierzig Grad oberhalb der Region, in der die übrigen Planeten und Zwergplaneten kreisen. Eris bedeutet Endstation, es sei denn, man ergattert einen Flug auf einem der Sternenschiffe, die hier etwa alle zehn Jahre gebaut und auf den Weg gebracht werden.
All diese »Vorzüge« machen Eris zum idealen Aufenthaltsort für diejenigen, die mit der Situation im inneren System nichts zu tun haben wollen, besonders riskante Experimente durchführen möchten oder sich schlicht des schlimmsten Verbrechens aller Epochen schuldig gemacht haben: den Geldadel zu beleidigen. (Mit anderen Worten: Hier leben vorzugsweise Regimekritiker, Kriminelle und Sonderlinge – nicht unbedingt Leute meiner Art.)
Selbstverständlich hat das Leben auf Eris auch gewisse Schattenseiten. Habe ich schon erwähnt, dass es dort kalt ist? Und ich meine damit nicht, dass man seine Hydraulikflüssigkeit aufrüsten und sich warm anziehen muss. Es ist so kalt, dass es auf der Oberfläche Methanseen gibt, die im tiefen Winter (der, äh, etwa sechzig irdische Standardjahre dauert) zufrieren . Wenn man im
Winter ohne Stiefel und Handschuhe draußen ist, wird man schätzungsweise fünfzehn Minuten überstehen, ehe man Erfrierungen erliegt. Und im Sommer ist es noch schlimmer: Die Gewässer verdampfen und verleihen dem Planeten eine dünne Atmosphäre aus kühlem Nebel, der sich in den Niederungen sammelt und einem die Wärme aus dem Körper zieht, ehe man das Wort Unterkühlung überhaupt aussprechen kann. Verglichen mit Eris (und dem winzigen Mond des Planeten, Dysnomia, der nahe dabei liegt) wirkt Kallisto wie ein tropisches Urlaubsparadies.
Außerdem ist es hier auch dunkel, und damit meine ich: so dunkel, als herrsche ewige Nacht. Sofern man sich am Himmel nicht sehr gut auskennt, kann man, wenn man zu den Sternen aufblickt, nicht sicher sein, ob es Tag oder Nacht ist. Von Eris aus gesehen ist die Sonne etwa so hell wie der Vollmond von der Erde aus betrachtet. Weit entfernte Supernovae strahlen viel heller. Und genauso ist es auf allen Planeten, auf denen die Verbotenen Städte angesiedelt sind.
Die Bevölkerung ballt sich in kugelförmigen Städten zusammen, die, auf unzählige summende Isolatoren gestützt, aus dem dunklen Permafrost emporragen. Spannungskabel schützen sie vor den Erschütterungen, die die Energie liefernden Kernfusionsanlagen hin und wieder durch ihre Abwärme auslösen. In den mehr als hundert Jahren, die seit der Besiedelung von Eris vergangen sind, hat sich die Temperatur der planetaren Lithosphäre bereits um mehrere Grad erhöht; ebenso haben wir es ja auch geschafft, die Atmosphäre von Kallisto um das Tausendfache zu verdichten. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, so warnen uns die ärgerlich Weitsichtigen unter den Planetografen, müssen wir uns auf die Zunahme von Eisbeben und eine bedrohliche Verdichtung der Atmosphäre einstellen, die das ganze Jahr über anhält.
Rings um Eris befinden sich Hunderte von Installationen mit einer Leistungskapazität von mehreren Gigawatt, und jede davon bildet das Zentrum einer Oase der Wärme und des Lichts in dem Ödland, das dunkler und dunkler wird.
Dass die Städte als »verboten« gelten, hat den Hintergrund, dass…
Ich bemerke schwaches bläuliches Licht und ein sonderbar raspelndes Geräusch, das sich ständig wiederholt. Es klingt wie eine Fabrik voll defekter Motoren, die sich langsam dem Kolbenfresser entgegendrehen. Ich fühle mich leicht, denn die Schwerkraft beträgt hier nur ein Zehntel der Schwerkraft
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