Die Kinder des Saturn
auf der Erde, ist also noch geringer als die auf Luna. Die Luft ist mit freiem Sauerstoff gesättigt und hat fast berauschende Wirkung. Sie riecht nach einer komplexen Mischung aus seltsamen organischen Molekülen, bizyklischen Monoterpenen und Hexanol.
Seitdem ich mich das letzte Mal in einer mit Druck ausgestatteten Kuppel auf dem Mars aufgehalten habe, ist mir nicht mehr so warm gewesen wie in diesem Augenblick. In dieser Wärme könnte sogar Schmelzwasser auftreten und ungehindert fließen.
Selbstverständlich befinde ich mich auf Eris (wo denn sonst?), aber was das Übrige betrifft …
Ich drehe den Kopf, um mich hier umzusehen. Der braune Boden ist mit Schutt und Gerümpel übersät. Da ich barfuß laufe, stechen mir die spitzen Teile in die Haut. Ringsum strecken sich verästelte Konstruktionen an braunen Stämmen nach oben. Sie erinnern mich an die weit verzweigten molekularen Montageköpfe in der Technologie meines Körpers, nur sind sie viel, viel größer und gehen oben in gezackte, asymmetrisch angeordnete grünlich-schwarze Verkleidungen oder Sensoren über.
Ich bin umgeben von Green Goo! , merke ich plötzlich und spanne mich vor Unbehagen an. Diese Dinger ringsum sind Pflanzen . Solarbetriebene selbstreplizierende Organismen, die Kohlendioxid in Sauerstoff und, ähm, irgendetwas anderes aufspalten. (Bitte seht mir meine recht oberflächlichen Kenntnisse nach, aber ich bin keine Expertin, sondern weiß von allem nur ein bisschen. Warum sollte ich mir auch die Mühe machen, mir die ganze Biochemie einzutrichtern – oder lernen, ein Gebäude zu entwerfen,
ein Raumschiff zu steuern, Geschäftsbilanzen zu erstellen, Gleichungen zu lösen und die Sterbenden zu trösten -, wenn ich andere Leute dazu bringen kann, all das im Austausch für einen Blowjob an meiner Stelle zu erledigen?)
Mir ist schwindelig von all den neuen Eindrücken. Übrigens trage ich denselben raffiniert geschnittenen, eleganten Hosenanzug, den ich beim Abschied von Kallisto vor fast vier Jahren anhatte, allerdings muss irgendjemand ihn inzwischen gründlich gereinigt haben. Danke, wer du auch sein magst. Der abfallende Boden unter meinen Füßen ist mit abgestorbenen, vermodernden Teilen von Green Goo übersät – igitt! Hastig fahre ich meine Absätze aus. Über mir befindet sich eine dunkelblaue Kuppel, die zu einer Seite hin heller wird, aber von diesen Replikatoren mit den Stämmen und Ästen, den Bäumen , verdunkelt wird. Immer noch höre ich das raspelnde Geräusch; inzwischen geht es mir auf die Nerven. Unsichtbare Wesen bewegen sich raschelnd im Laub, und es weht ein schwacher Wind. So muss es in früheren Zeiten auf der Erde gewesen sein, bevor unsere Schöpfer ausstarben.
»Willkommen in Eden zwei, gnädige Frau«, poltert eine raue Stimme in meinem Rücken.
Mit Mühe schaffe ich es, eine hysterische Reaktion zu unterdrücken. »Sehr malerisch. Wo werden eigentlich die Gäste untergebracht?«, frage ich in scharfem Ton, um mein Unbehagen zu überspielen. Eine Erinnerung, nicht unbedingt meine (es ist Juliette , die sich in meinem Hinterkopf bemerkbar macht), sagt mir, dass mir eine Führung durch die Anlage bevorsteht. Ich bin schon einige Zeit hier – Tage, wie es mir vorkommt – und völlig geistesabwesend herumgewandert, während Juliette das Steuer übernommen hat.
»Zu gegebener Zeit werden wir Sie dort hinbringen«, versichert mir die Stimme. »Eden zwei hat einen Durchmesser von mehr als zwei Kilometern, so dass unsere Konstrukte einen realistischen Großlebensraum vorfinden, in dem sie sich ausbreiten können. Es gibt hier über sechstausend prokaryotische Spezies, zweihundert Typen makroskopischer Pflanzen und dreißig verschiedene
Insektenarten. Eden zwei zu entwickeln war sogar noch schwieriger, als die höchste Spezies neu zu erschaffen …« Er schwadroniert noch eine Weile so weiter und erläutert die seltsamen Eigenschaften der völlig künstlichen Biosphäre, während ich mich bemühe, den Schock zu verarbeiten, dass jemand anderes in den letzten Tagen meinen Körper benutzt hat. So weit ich die Stimme richtig verstehe, hat es fast ein Jahrhundert gedauert, diesen Lebensraum akribisch genau und Stück für Stück zu konstruieren.
Was ist mit mir geschehen? Das Letzte, an das ich mich noch einigermaßen deutlich erinnern kann, ist Juliettes Hand, die den zerstörten Versklavungschip zurück in meine Nackenbuchse schiebt. Was unmöglich ist, denn Juliette ist entweder immer noch auf dem Mars oder tot.
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