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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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veranlasste, den Chip zu entfernen, bevor sie mit einer uralten Maschinenpistole russisches Roulette spielte (wie Nike sagt, die mir den Chip übermittelt hat).
    Im Moment spüre ich nur eine Schwester, die extrovertierter und zynischer ist als ich und sich hinter der brüchigen Maske eines unbekümmerten, fröhlichen Hedonismus versteckt, um die
tiefe Wunde in ihrer Seele zu verbergen. Juliette ist tatsächlich viel herumgekommen, allerdings weiß ich noch nicht, warum. Nachträglich ist die Szene, in der ich die Lobby dieses Hotels betrat, wie ein Déjà-vu-Erlebnis, das sich aus Juliettes Langzeitgedächtnis speist. Juliette hat Cinnabar und dieses Hotel aus einem ganz bestimmten Grund aufgesucht, nur hat sie mir diesen seinerzeit in ihren oberflächlichen, flüchtigen Mitteilungen nicht anvertraut, soweit ich weiß.
    Später erfahre ich mehr über ihren Aufenthalt in diesem Hotel. Als ich aufwache, merke ich zu meiner Verblüffung, dass ich feuchte Hände habe und sich ein Schauer brennender, ungezügelter Lust zwischen meinen Schenkeln ausbreitet, ein Begehren, das bis in mein Innerstes reicht – doch leider liege ich allein in diesem allzu großen Bett. Paris ist diskreter, als es ihm (und mir) guttut, und lässt mir Zeit, mich in die Affären meiner Schwestern hineinzuversetzen, ehe er seine Ansprüche geltend macht. »Fick dich!«, seufze ich aus tiefer Kehle und bin mir dabei nicht sicher, ob das ein Fluch oder ein Versprechen ist. Ich versetze der nachgiebigen Matratze einen Schlag, richte mich erschöpft auf und beginne mit einer Bestandsaufnahme.
    Ich befinde mich auf Merkur, in einem Hotel, das ich mir nicht leisten kann, und bin hier, um mich mit den Freunden eines Gangsters zu treffen. Möglicherweise werden mir diese Freunde einen Job als Kurier anbieten, für den ich überhaupt nicht geeignet bin. Ich hab’s geschafft, mir auf Venus eine einflussreiche Aristo zur Feindin zu machen, und hatte nicht das Geld, irgendwo anders unterzutauchen. Letztendlich eigne ich mich nur für eine einzige Sache: für das horizontale Gewerbe im Dienste einer längst ausgestorbenen Spezies. Wirklich famos, Freya. Wo kann ich von hier aus hingehen? Ich befinde mich auf dem Grund der solaren Gravitationssenke, folglich kann ich nur nach oben ausweichen. Scheiße, aber es könnte ja noch schlimmer sein. Beispielsweise könnte der periodisch wiederkehrende Alptraum mir erneut zu schaffen machen. (Es gibt Zeiten, in denen ich wochenlang nicht schlafe, nur um diesem Traum zu
entgehen, bis ich schließlich zu halluzinieren beginne.) Vermutlich könnte ich Emma, Anais oder einer der anderen Schwestern meinen Seelenchip schicken, damit sie ihn sicher für mich aufbewahren, während ich meinen Körper so lange verkaufe, bis ich die Fahrt auf irgendeinem Frachtschiff bezahlen kann. Natürlich könnte ich auch warten, bis Stone mich aufgespürt hat, oder…
    Ich vollführe einen Stepptanz am Rande einer Klippe, als mir plötzlich zwei Dinge auffallen. Erstens bin ich völlig ausgehungert. Das Letzte, was ich zu mir genommen habe, war ein Krug mit barbarischer Flüssignahrung in Victors Kneipe im guten alten Ischtar. Kein Wunder, dass ich so angespannt und nervös bin! Hektisch sehe ich mich im Zimmer um – hier muss es doch irgendetwas zu essen geben! -, während das Gefühl an mir nagt, dass da noch etwas Zweites war, das ich wieder vergessen habe …
    Ah ja: Seit zwei Monaten habe ich nicht mehr nach meiner Post gesehen, stimmt’s?
    Mit wackeligen Beinen stehe ich auf, gehe zur Tür hinüber und tippe auf die Klinke. »Etwas zu essen. – Bitte!« Im letzten Moment habe ich mich an ein Minimum von Höflichkeit erinnert. »Was auch immer der Zimmerservice mir bringen kann.«
    Der Zimmerservice arbeitet unabhängig vom Hotel, soweit ich mich erinnere. Paris überwacht nicht alles höchstpersönlich, was in seinem Körper passiert. Allerdings wird er inzwischen bestimmt gemerkt haben, dass ich wieder wach und auf den Beinen bin. Vermutlich hat er vor, mich zu überraschen. Plötzlich durchströmt mich eine Woge bruchstückhafter lüsterner Erinnerungen, so dass ich ungläubig blinzele und spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt. Darauf also hat Juliette sich eingelassen, wie? Im Unterschied zu manchen meiner Schwestern bin ich nie besonders scharf auf fremdartige Gestaltwandler gewesen, aber ich werde schon irgendwie mit Paris klarkommen. Und wenn man Juliettes Erinnerungen an den rammelnden Paris glauben darf, werde ich

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