Die Kinder des Saturn
EINEM LUXUSHOTEL KANN ES WOHL KAUM einen seltsameren Anblick geben als den einer zornigen kahlköpfigen Riesin im zerfetzten kleinen Schwarzen, die durch den Dienstboteneingang hereinstürmt und ein Gespräch mit dem Management verlangt. Es sei denn, der Empfangschef selbst spielt vor Panik völlig verrückt und schickt ferngesteuerte Bedienstete und Drohnen aus, die hin und her huschen und alle Leitungen, Rohre und Zugänge des Hotels versperren, während er selbst sich händeringend in Selbstanklagen und Entschuldigungen ergeht.
»Ich will keine Entschuldigung!«, sage ich, nach Luft ringend. »Ich möchte, dass Sie herausfinden, wo diese Kerle eingedrungen sind, und die entsprechende Stelle blockieren! Und wenn Sie die Typen auch noch erwischen und ans Kreuz nageln könnten …«
»Meine Liebe, ich kann Ihnen versichern, dass ich jede Ecke, jeden Winkel durchforsten werde! Aber was ist mit Ihrem Haar passiert? Haben Sie irgendeine Ahnung, wer hinter der Gewalttat stecken könnte? Sie Arme …«
Ich lasse es über mich ergehen, dass er einen großen Wirbel um mich macht, mir jeden Wunsch von den Augen ablesen will und mich schnell zur Hochzeitssuite hinaufbringt (nachdem ich mich vergewissert habe, dass die ganze Etage durchsucht und abgesperrt worden ist). Dort umarmt Paris mich fest, drückt mich an sich und versichert mir überschwänglich, dass mir hier, in seinem Herzstück, keinerlei Gefahr drohe. Ich erlaube mir fast, ihm Glauben zu schenken, doch als er mich mit seinen ferngesteuerten Teilen auszieht und ich mich auf ihn lege, gesteht er, er
habe Angst. »Ich weiß zwar, an welcher Stelle die Kerle eingedrungen sind, hab aber keine Ahnung, wieso ich sie nicht bemerkt habe. Jetzt habe ich externes Sicherheitspersonal dazu angeheuert, die Einstiegsluke zu versiegeln. Trotzdem ist es eine entsetzliche Geschichte. So ein Abschaum!« Er erschauert unter meinem Körper.
Ich streichle den Einführungsmechanismus seines Adapters. »Ist schon gut«, beruhige ich ihn, und diesmal erschauert er aus einem anderen Grund. »Am besten, wir hören jetzt auf, uns Sorgen darum zu machen.« Das Letzte, was ich brauchen kann, ist ein Gastgeber, der meine Gegenwart mit Stress assoziiert. »Umarme mich, Liebster. Ich möchte, dass du mich berührst.« Ich manipuliere ihn, klar, aber das ist keineswegs die schlimmste Tat meines bisherigen Lebens. Mit voller Absicht verführe ich Paris, verwöhne ihn mit Sex, während wir auf dem Wasserbett wie im Delirium dahintreiben. Dennoch ist mir dabei deutlich bewusst, dass ich meinen undurchsichtigen Gegnern mit jeder verstreichenden Sekunde weitere Zeit einräume zu merken, dass ihr teuflischer Plan fehlgeschlagen ist.
Mit neuem Schwung und völlig verschwitzt komme ich wieder zu mir. Meine Batterie ist aufgeladen und mein Schädel mit dichten rötlichen Borsten überzogen, die sich an den Spitzen gerade zu kräuseln beginnen. Das Zimmer ist mittlerweile abgekühlt, und das Wasserbett liegt nach dieser heißen sexuellen Eskapade wieder schlaff und nüchtern da. Es riecht schwach nach Salz und postorgiastischer Traurigkeit. Paris’ ferngesteuerte Teile haben sich zurückgezogen, um mir ungestörtes Alleinsein zu ermöglichen. Es kann aber auch sein, dass Paris ein schlechtes Gewissen hat, weil er denkt, er habe meine Lage für sich ausgenutzt. Bei Männern weiß man das nie, denn sie haben eine äußerst seltsame Einstellung zum Sex. Fast so seltsam wie unsere Schöpfer weiblichen Geschlechts – aber das ist eine andere Geschichte.
Auf meinem Tablet PC finde ich eine Nachricht vor. »Ich habe ein paar Zombies hergestellt«, teilt Paris mir mit schüchterner Stimme mit. »Hoffentlich macht es dir nichts aus? Drei Lockvögel mit deiner Figur. Zwei von ihnen wurden sofort getötet, aber die Dritte läuft immer noch frei herum. Vermutlich wissen deine Kidnapper jetzt, dass sie sich mit dir übernommen haben.« Er übermittelt mir eine Bildmontage von Homunkuli, die mich leicht verstört. Sehe ich wirklich so aus? »Außerdem habe ich den Sicherheitsdienst Blue Steel damit beauftragt, für das Wohlbefinden und die Sicherheit meiner Gäste zu sorgen. Die Leute haben angeboten, dir während deines Aufenthalts in der Stadt einen Aufpasser zur Seite zu stellen.«
Die zweite Nachricht ist nicht unterzeichnet. »Soweit wir wissen, hat Ichiban Sie hierher entsandt. Inzwischen hatten Sie sicher genügend Zeit, sich zu orientieren. Bitte melden Sie sich sobald wie möglich in unserer
Weitere Kostenlose Bücher