Die Kinder des Saturn
meinen Chromatophoren sprießen, das solare Gegenlicht ringsum brechen.
Ich muss wie der dunkle Umriss einer brennenden Frau in einem rubinroten Umfeld wirken. Ich spanne mich an und zwinge meine Schuppen, sich flach an den Körper zu legen. Danach ändere ich die Spannung so, dass sich die Schuppen wie Stacheln aufrichten. Was ich mir schaffen will, ist ein aufflackerndes rubinrotes Umfeld, denn ein grelles Rot wird als einzige Farbe in dieser nüchternen schwarzweißen Landschaft auffallen. Beachtet mich gefälligst!
Während ich aufflamme und wieder verblasse, aufflamme und wieder verblasse, summen die Schienen unter meiner Wange. Das kaum sichtbare Ding schnüffelt inzwischen an den Bahnschwellen herum. Als es sich mir zuwendet, nagt an mir das Gefühl,
dass ich es schon mal gesehen habe. Es? Ihn. »Hilfe!«, kreische ich, doch das Wort kommt nur als Flüstern heraus. Erneut beginnen die Schienen zu summen: Hinter der zerklüfteten Spalte in der Außenwand des Kraters taucht die wie eine Untertasse geformte, von einer Kristallkuppel überwölbte Stadt Cinnabar auf und rollt schwerfällig in mein Blickfeld. Dutzende fahler Türme kriechen auf tausend Stahlrädern, die wie riesige Dampfwalzen alles unter sich zu Staub zermalmen, auf mich zu. Die Schienen ächzen und knirschen so, als hätten sie ein Eigenleben. Der Horizont täuscht: Die Stadt ist nur noch wenige Kilometer von mir entfernt. »Hilfe!«, brülle ich erneut.
Das Ding im Schatten steht auf, schwenkt seine Saugrüssel in meine Richtung und entfernt sich danach wohlüberlegt von mir. Als ich verzweifelt meine lichtablenkenden Stacheln ausfahre und aufflammen lasse, bleibt es einen Augenblick stehen – doch gleich darauf steigt es in einer von seinem Düsenantrieb ausgelösten Staubwolke empor und saust auf die heranrollende Stadt zu.
»Lass mich hier nicht zurück!«, jammere ich, plötzlich von hilflosem Entsetzen gepackt. (Aus irgendeinem Grund hat ein Teil meines Ichs erwartet, dass dieses Ding – wer oder was es auch sein mag – mich retten würde. Und jetzt fühlt sich dieser Teil im Stich gelassen.) Wie ein blutrünstiges Drama sehe ich vor mir, was passieren wird – das Schauspiel meines Ablebens. Hier liege ich, festgebunden an drei Schienen (wobei mein Kopf durch mein eigenes Haar an die nördlichste gefesselt ist), während Cinnabar quietschend und knirschend auf mich zurumpelt, angetrieben von Motoren, die ihre Energie aus der Wärmeausdehnung rot glühenden Metalls unmittelbar hinter dem strahlend hellen Horizont beziehen. Das wandelnde Gebirge wälzt sich wie der Inbegriff des Verderbens, das die ganze Welt verschlingen wird, auf mich zu. Als Erstes sehe ich die ausladende Vorderfront der Stadt, dann die Wagen mit den Leiträdern auf beiden Seiten. Stones Geschwister haben mich vorsorglich nahe der Spurmitte angebunden, wo die riesigen mahlenden Antriebsräder die Stadt mit stattlichen zwölfeinhalb Stundenkilometern durch die Gegend
befördern. Irgendwo hoch oben, jenseits der geschwungenen Tragfläche und außerhalb meiner Sichtweite, stoßen jetzt zwei üble Marionetten mit eiskalter Häme auf mein Ableben an. Ich erstarre einen Augenblick, denn ich male mir aus, wie sich lange Schatten über mich legen und ich noch einen kurzen Blick auf geschwungenen hochglänzenden Stahl erhasche, bevor mein Kopf wie ein Treibstoffkanister aus Plastik explodiert. Gleichzeitig werden die messerscharfen Räder meine Füße an den Knöcheln abtrennen und sich in meine Bauchhöhle graben …
Hör auf zu jammern und reiß dich zusammen!, fährt mich ein Teil meines Ichs wütend an. Das Sonnenlicht wird bereits schwächer. Ich kann sehen, dass der Himmel hinter der Stadt mit Sternen übersät ist. Dir bleiben noch rund drei Minuten Sonnenlicht. Und dann dauert es noch zwölf Minuten, bis alles vorbei ist. Was ist dir wichtiger: dein Haar oder dein Leben?
Mein Haar?
Als mir plötzlich klar wird, was das bedeutet, kneife ich ungläubig die Augen zusammen. Wären meine Füße nicht gefesselt, würde ich mich jetzt selbst in den Hintern treten. Ich bin wirklich ein Schwachkopf! Vielleicht bleibt mir nicht mehr genügend Zeit …
Ich habe langes rubinrotes Haar, eine prächtige, volle Mähne. Das zählt zu den Besonderheiten meines Modells, die am wenigsten aus der Mode gekommen sind. Die Mähne sprießt aus einer ganzen Matrix von Haarfollikeln in meinem Schädel und fällt mir halb über den Rücken, wenn ich sie offen trage. Die von den Aristos
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