Die Kinder des Saturn
»Singapur«. Doch heutzutage ist zwangsläufig alles »automatisiert«, wie die Spaßvögel unter uns zu bemerken pflegen. Unzählige Hände halten Verkehr und Betrieb Stunde um Stunde, Jahr um Jahr am Laufen.
Verglichen mit dem riesigen Güterumschlagplatz des Marshafens ist die Pygmalion nicht mehr als ein schwebendes Objekt von der Größe einer Minikamera. Während ich ihren Anflug beobachte, weist die Verkehrsüberwachung sie an, in einer kleinen abgelegenen Andocknabe an der Polseite des Voltaire-Kraters anzulegen.
»Bitte bleiben Sie in Ihrer Kabine, solange die anderen Fluggäste von Bord gehen«, befiehlt mir die Pygmalion in formellem Ton. »Ich werde Ihnen mitteilen, wann Sie das Schiff verlassen können.« Ich glaube, sie ärgert sich immer noch über den Wasserschaden im Salon. Außerdem weiß sie vermutlich genauso gut wie diese kalte hinterhältige Aristokratin Ford, dass ich irgendetwas schmuggle. Aber immerhin ist sie gekauft, und Jeeves bezahlt sie sicher gut. Also warten Bill, Ben und ich ungeduldig, bis sie schließlich sagt: »Sie können jetzt gehen.« Sofort verschwinden wir durch die tropfnassen Gänge zum Kai.
Bei Ankunft auf dem Marshafen findet keine Zollkontrolle statt, denn es handelt sich um einen Freihafen (auch wenn die Pink Goo -Polizei hier gelegentlich Durchsuchungen durchführt). Ich weiß noch, wie unkompliziert die Abfertigung bei meinem letzten Besuch vor mehr als zehn Jahren verlief. Das Problem besteht eher darin, dass mich irgendjemand bei meiner Ankunft beobachtet. Doch auch dafür habe ich eine Lösung gefunden.
Die ehrenwerte Katherine Sorico verlässt die Pygmalion erst eine volle Stunde nach allen anderen Fluggästen. Sie hat sich die Zeit zum Umziehen genommen und trägt jetzt über locker fallenden Hosen ein apartes pilzförmiges Gewand voller Rüschen, Falten und Metallspitzen. An den Knöcheln und Manschetten blinken Warnlämpchen. Diese Katherine Sorico schleicht sich nicht durch schmuddelige Verladeschächte oder Containerburgen, sondern schwebt dahin, gefolgt von ihren treuen Dienern. Und selbstverständlich nimmt sie das erste Beförderungsmittel in Beschlag, auf das ihr Blick fällt (eine Spinne, die Schiffsbesatzungen als Dienstfahrzeug benutzen; sie hat eindeutig schon bessere Tage gesehen.) Sofort weist sie den unglückseligen Arbeitssklaven an, sie zur nächsten Haltestelle der Untergrundbahn zu bringen. Die Augen streng nach vorn gerichtet, sitzt sie steif und aufrecht da, während ihre Diener oben auf dem Gepäckbehälter hocken. An Steinschlagnetzen vorbei krabbelt die Spinne durch enges Straßen- und Gassengewirr und hält unmittelbar neben der Einstiegsluke zur Untergrundbahn. »Besorg mir eine Privatkapsel«, trägt
Lady Sorico einem ihrer Diener auf. »Ich will mich so rechtzeitig im Grand Imperial Hotel einrichten, dass ich heute Abend noch Einladungskarten verschicken kann.«
Der Diener erledigt es sofort. Schon eine Minute später öffnet sich die Luke, und die ehrenwerte Katherine klettert in die innen gepolsterte kompakte Beförderungskugel, weist ihre Arbeitssklaven an, sich eigenständig auf den Weg zu ihrem Anwesen zu begeben, schließt die Tür … und wird nie wieder gesehen.
Zehn Minuten und drei Privatkapseln später verlässt die schüchterne Maria Montes Kuo den Personalausgang einer öffentlichen Bahnstation, die Werkzeugtasche über die Schulter gehängt. Sie ist eine selbstständig arbeitende Installateurin (ist unbehaart, trägt einen dunklen Arbeitsoverall und hat anstelle der schimmernden Bishojo-Augen der Aristos spezielle optische Sondierungsgeräte im Schädel).
Ich bin ziemlich stolz auf Maria. Zwar kann ich nur wenig tun, um den Körperbau und die Größe meines Archetyps zu kaschieren, doch Irreführungen und eine schlichte Maske können Wunder bewirken. Falls ich Glück habe, wird jeder zu meiner Beobachtung ausgeschickte Arbeitssklave nach Kate Ausschau halten; ich habe für sie absichtlich auffällige Kleidung ausgewählt, um bewegungsüberwachende Monitoren zu verwirren. Und Marias Gesichtszüge sollen die Identifizierung anhand der Augen erschweren. Vor einem zu allem entschlossenen Gegenspieler wird mich die Maskierung nicht lange schützen, aber das muss sie hoffentlich auch nicht …
Als ich an einem Warteraum vorbeikomme, merke ich, dass mich jemand verfolgt. Er ist fast so groß wie ich – groß für einen Arbeitssklaven – und hat ein ovales Gesicht ohne ausgeprägte Züge, nichtssagend und unauffällig.
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