Die Kinder des Teufels (German Edition)
eingestürzte Mauern, in enge Gassen und durch verlassene Hinterhöfe. Und in eben so einem Hinterhof endete die Spur. Kolk ließ sich sanft und nahezu geräuschlos auf dem Hoftor nieder. Er war schon einmal hier, vor gar nicht so langer Zeit, als er in den Schacht gefallen war und sich in einem dunklen Keller voller Ratten und kleiner Menschen wiedergefunden hatte.
Durch einen Schacht mussten die Wölfe nicht kriechen. Die Tür stand offen, und sie gingen einfach hindurch. Dahinter war die Treppe, die nach unten in den Weinkeller führte. Der Geruch wurde unwiderstehlich, die vorgegebene Ordnung der Rangfolge löste sich auf. Die Wölfe hasteten die Stufen hinunter und fanden sich in einem riesigen, aber stockfinsteren Keller wieder. Sie sahen nichts, obwohl sie exzellente Augen hatten, die sie selbst in der Nacht zu ihrem Ziel führten.
Aber gute Augen waren in diesem Fall auch gar nicht nötig. Der Geruch nach Blut und Fleisch war überwältigend. Sie mussten nur der Nase folgen. Doch da war noch etwas anderes.
Sie waren nicht alleine. Ein Fiepen und ein Geraschel vieler kleiner Beine irritierte sie für einen Moment.
Ratten. Nicht einzelne, auch nicht Dutzende, sondern Hunderte mussten es sein, gemessen an dem Aufruhr, den sie machten, und dem Gestank, den sie verbreiteten. Sie würden ihre Beute nicht kampflos aufgeben, so viel war sicher.
Aber die Wölfe waren zu hungrig, um sich jetzt noch verjagen zu lassen. Sie gingen mutig voran, knurrend, fletschend und nach allen Seiten beißend. Die Ratten standen dem in nichts nach. In Scharen stürzten sie sich auf die Eindringlinge und bohrten ihre spitzen Zähne in Augen, Ohren und Nasen.
Für einen Jungen kam der Tumult gerade zur rechten Zeit. Die Ratten waren abgelenkt, er konnte sich aus seinem Versteck – zwei aufeinandergestellte Weinfässer – wagen. Er ließ sich unter großen Schmerzen hinabgleiten und humpelte in Richtung Treppe davon.
Mit letzter Kraft schaffte er es hinaus auf den Hof, taumelte noch ein paar Schritte, bis er kraftlos in den gefrorenen Schnee fiel.
Kolk beobachtete diesen kleinen Menschen aufmerksam. Als er sich nicht mehr rührte, schwang er sich auf und glitt hinüber. Er landete gleich neben dem Kopf. Das frische Blut war so nah, dass selbst er es riechen konnte.
Aber er musste vorsichtig sein, Menschen waren nicht zu unterschätzen. Man wusste nie, was ihnen gerade in den Sinn kam. Ihre Bewegungen zweifelsfrei zu deuten war ihm bisher nicht gelungen. Menschen konnten vortäuschen, dass sie verletzt, krank oder tot waren.
Kolk schritt an diesem Kopf ein ums andere Mal vorbei, als könne er sich nicht entscheiden, welche Seite er sich als erste vornehmen sollte. Aber mit zunehmender Dauer wurde ihm das Gestakse zu dumm. Ein schneller Schnabelstoß auf den Kopf würde Gewissheit bringen.
Der Mensch bewegte sich nicht. Noch ein zweiter Stoß zur Sicherheit. Da stöhnte der Körper auf, eine Hand fasste an die blutende Wunde. Ein Bein wurde herangezogen, dann das zweite. Es folgten die Arme, bis er auf allen vieren stand. Kolk flatterte empört auf, hinüber zum Tor, wo er sich niederließ und den Menschen beobachtete, wie er sich bemühte, auf die Beine zu kommen. Ein ums andere Mal.
Schließlich gelang es ihm. Wankend stand er da, rang mit sich, bis er einen Fuß vor den anderen setzte.
Kolk würde ihm folgen und auf eine zweite Chance hoffen. Hier gab es nichts mehr für ihn zu gewinnen. Aus dem Schacht drangen besorgniserregende Laute, und er war nicht gewillt, ihnen auf den Grund zu gehen. So brachte er Luft unter die Flügel.
Die Gasse, in der der Mensch verschwand, war finster. Erneut musste er sich auf sein Gehör verlassen. Er hörte schlurfende Schritte, Stöhnen. Sie führten ihn zu einem Platz.
Kolk landete auf einem Dach, von hier aus hatte er beste Sicht. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis sich ihm die nächste Gelegenheit bot. Doch dieser kleine Mensch erwies sich als zäher als gedacht. Er überquerte den Platz und blieb kurz vor einem Haus stehen, bis er über den Hintereingang darin verschwand.
Erneut hatte Kolk das Nachsehen. Das war kein gutes Zeichen für eine baldige Mahlzeit. Er beschloss, sein Glück jenseits der Stadttore zu versuchen, vielleicht hatte jemand etwas weggeworfen, oder irgendein ausgehungerter Körper hing an einem der Galgen.
Unter ihm zogen Häuser vorbei, Kirchtürme und Plätze, aber kein Tier oder Mensch, dem er hätte folgen können. Auf den Wegen und an den Galgen vor
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